175 Jahre Bahnland Schweiz

Von der Spanischbrötlibahn im Jahr 1847 bis zu den Basistunnels durch das Alpenmassiv: Die Schweizer Bahngeschichte ist reich an technischen Meisterleistungen, Höhepunkten und auch Rückschlägen. Sieben Meilensteine aus 175 Jahren im Kurzdurchgang.

Bahnbau: spät, aber gründlich

Zierlich wirken die frühesten Lokomotiven der Schweiz. Nur gerade 90 Pferdestärken mobilisierte die «Rhein» der Spanischbrötlibahn von 1847, so viel wie ein VW Golf. Mit ihren ersten 23 Schienenkilometern hinkte die Schweiz den Nachbarländern hinterher. Die Bahn verband Zürich mit Baden und hatte ihren Übernamen von einem Gebäck, das vermögende Zürcherinnen liebten und sich nun ofenfrisch bringen lassen konnten. Die Verbindung war aber zu wenig wichtig, für gewöhnliche Leute zu teuer und deshalb unrentabel. Doch danach ging es rasch: 1860 spannten sich Hauptlinien vom Genfer- bis zum Bodensee, mit Seitenästen bis nach Basel oder Chur. Mit 1000 Kilometer Schienen war das Fundament gelegt zum «Bahnland Schweiz» mit seinem einmalig dichten Netz.

Durchbohrte Alpen: die Gotthardbahn

Die Gotthardbahn veränderte die europäische Verkehrslandschaft. Dies nebst dem Tunnel ganz wörtlich durch die Erdbewegungen für die Schienenkarusselle in der Biaschina (hier bei Giornico) und im Urner Reusstal. Mit dem Jahrhundertbau sicherte die Schweiz ihre Position als führendes Transitland zwischen Nord- und Südeuropa. Das Meisterstück der Ingenieurskunst war zugleich ein Mahnmal des Profitstrebens auf Kosten der hauptsächlich italienischen Arbeiter; 199 bezahlten ihren Einsatz mit dem Tod. Ein grosser Teil des Kapitals für den ersten Schweizer Alpendurchstich kam aus dem Ausland. Dem Gotthard- folgten der Simplon- und der Lötschbergtunnel. Gut 100 Jahre später das Déjà-vu eine Etage tiefer: Die Basistunnels Gotthard und Lötschberg sind die Nachfolger für das 21. Jahrhundert – technische Glanzleistungen auch sie. Dank ihnen durchqueren drei Viertel aller Güter die Alpen auf der Schiene, fast zwei Drittel davon mit der SBB.

Ohne Eisenbahnbarone: die Bundesbahn

«Ab de Schine, d’Bundesbahn chunnt»: Dies war der Schlachtruf für die Verstaatlichung der fünf grossen Schweizer Privatbahnen, genannt «Rückkauf». Das Stimmvolk beschloss ihn 1898 mit satter Zweidrittelsmehrheit – die Frucht einer tiefen Unzufriedenheit mit dem Gebaren der Privatbahnen und «Eisenbahnbarone» wie dem mächtigen Alfred Escher in Zürich. Aber die SBB hatte ein schweres Erbe angetreten: Ihre Bahnanlagen waren erneuerungsbedürftig, das Rollmaterial veraltet und die Schuldenlast enorm. Die Mitarbeitenden freuten sich derweil über schönere Uniformen und das rot-weisse Schweizerkreuz auf ihren Mützen. Damit posierten sie auf dem Foto vor dem ersten SBB Zug im Bahnhof Bern. Bundesbeamte blieben sie fast 100 Jahre. Erst 1999 löste sich die SBB ein Stück vom Staat. Sie wurde zur AG, deren Aktien aber alle weiterhin dem Bund gehören, und handelte mit dem Personal einen Gesamtarbeitsvertrag aus.

Weisse Kohle: die Elektrifizierung

Kein Land elektrifizierte seine Bahnen so rasch und gründlich wie die Schweiz. Getrieben war der Kraftakt von einem empfindlichen Kohlenmangel im Ersten Weltkrieg. Ab 1918 ersetzte die SBB in hohem Tempo die schwarze durch die «weisse» Kohle. Sie baute Kraftwerke (auf dem Foto der Druckleitungsbau bei Amsteg 1920), spannte Fahrdrähte und kaufte Lokomotiven bei der Schweizer Industrie. Zehn Jahre später stand bereits gut die Hälfte des SBB Netzes unter Strom, die Lokbestellungen verhalfen der Schweizer Rollmaterialindustrie zu Weltgeltung. Längst ist nun das Netz vollständig elektrifiziert – ein Weltrekord. Wasserkraft liefert 90 Prozent des Bahnstroms; der grösste Teil stammt aus Eigenproduktion. Nur die stolze Industrie ist, mit Ausnahme von Stadler, in multinationalen Konzernen aufgegangen.

Aus der Krise: der Taktfahrplan

Ab 1950 kam die Bahn unter die Autoräder: Das Verhältnis von Zug- zu Autoreisenden schrumpfte bis 1980 von 1:1 auf 1:10. Dazu serbelte in den 1970-er Jahren der Güterverkehr, bis anhin der stärkste Ertragspfeiler der SBB. Was nun? Zunehmendes Umweltbewusstsein und verstopfte Strassen ermutigten die Bahn zu einer Offensive – mit einem Halbtaxabonnement für 100 Franken und dem Taktfahrplan von 1982. Dieser war als flächendeckendes Konzept in Europa einzigartig. Urheber waren drei junge SBB-Akademiker, die sich «Spinnerclub» nannten. Geht nicht, antworteten Betriebsgewaltige zuerst. Ging doch. Der Fahrplan wurde merkbar und erlaubte ein um 21 Prozent grösseres Zugsangebot, mit geringen Mehrkosten. Weitsichtig – nur der Slogan «Jede Stunde ein Zug» ist verstaubt: Längst bildet der Halbstundentakt das Mass.

Retter vor dem Chaos: die S-Bahnen

Nein, nicht noch mehr Strassen, nur die Schiene kann die wachsenden Pendlerströme von den Agglomerationen in die grossen Zentren meistern. Erste, konkrete Folge dieser Einsicht war die 1990 eröffnete und seither viermal ergänzte S-Bahn in Zürich. Fürs grösste S-Bahn-Netz der Schweiz erweiterte sich Zürich HB zum Durchgangsbahnhof, an den ein Stadttunnel nach Stadelhofen und ein weiterer unter dem Zürichberg anschliessen. Danach schossen S-Bahnen und Tarifverbünde überall aus dem Boden und taten der SBB ein weiteres Wachstumsfeld auf. Heute besitzt die Schweiz 15 S-Bahn-Systeme, darunter tri- und binationale etwa im Grossraum Basel oder im Tessin und der Lombardei. Das Jüngste von 2019 ist der Léman Express mit einem 230 Kilometer langen Netz vom Genfersee bis nach Bellegarde (F) und St-Gervais am Fuss der französischen Alpen.

Mehr Zug für die Schweiz: Bahn 2000

Nachbarländer setzten auf Hochgeschwindigkeit, der Schweiz genügte «So schnell wie nötig». Trotzdem gab ihre «Bahn 2000» dem Schienen-verkehr mächtig Schub – mit nur 54 Kilometer Neu- und Ausbaustrecken im zentralen Mittelland netzweit (im Bild die Neubaustrecke Rothristen–Mattstetten mit dem Seitenast nach Solothurn–Biel beim Oenzbergtunnel im Oberaargau). Mit überschaubarem Aufwand setzte Bahn 2000 so den Taktfahrplan fort: Kürzere Fahrzeiten zwischen Knotenbahnhöfen von leicht unter 30 oder 60 Minuten und schlankere Anschlüsse machten viele Reisen rascher. Dafür brauchen die Züge nirgends schneller zu fahren als 200 Stundenkilometer. Eng wurde es durch das weiter verdichtete Reisezugsangebot aber für SBB Cargo. Dies berücksichtigt der nächste Schritt unter dem Kürzel ZEB («Zukünftige Entwicklung Bahninfrastruktur»). ZEB perfektioniert das Knotenkonzept von Bahn 2000 weiter, erhöht aber vor allem die Kapazitäten für Personen- und Güterverkehr.

Noch mehr Eintauchen in eine Zeitreise von 175 Jahren Schweizer Bahnen gefällig?

Dann unbedingt die folgenden vier Videos anschauen, die perfekt veranschaulichen, was im Wandel der Zeit mit der Eisenbahn geschah und in Zukunft noch geschehen wird.

Quelle: SBB
Quelle: SBB
Quelle: SBB
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