«Die Behandlung der Meldungen dauert teilweise zu lange»

Das Meldesystem der SBB steht in der Kritik: Ein Teil der Mitarbeitenden hat das Vertrauen verloren. Sie beklagen, ihre Meldungen würden nicht ernst genommen. Patrick Hadorn, Leiter Sicherheit und Qualität beim Konzern, sieht Handlungsbedarf.

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Seit September läuft das Programm «Sicuro!». Ein wichtiger Teil ist die Überprüfung, wie gut das Meldesystem der SBB funktioniert. Gibt es bereits Erkenntnisse?

Wir überprüfen, wie die Meldungen bearbeitet werden, wie lange dies dauert, welche Stellen involviert sind und ob allen Beteiligten ihre Rolle klar ist. Zudem untersuchen wir, wie die Qualität der Daten ist und wie die Daten ausgewertet werden. Die Resultate werden bis Ende Februar 2020 vorliegen.

Wir haben bereits einige Verbesserungsmöglichkeiten erkannt. Zum Beispiel sind die Transparenz im Meldeprozess und die Rückmeldungen ungenügend. Viele Melder wissen nicht, was mit ihren Meldungen geschieht und ob sich jemand um diese kümmert. Das führt zu Misstrauen, teilweise gar zu Resignation. Das müssen und wollen wir verbessern.

Wenn der Handlungsbedarf bekannt ist: Weshalb braucht es überhaupt ein externes Gutachten?

Wir wollen tiefer gehen und prüfen, welche Stärken und Schwächen unser Meldesystem hat. Mit einer unabhängigen Aussensicht vermeiden wir Betriebsblindheit und werden zudem erfahren, wo die SBB im Vergleich mit anderen Unternehmen steht. Wir haben TÜV Rheinland für den Auftrag ausgewählt, weil sie über erfahrene Experten mit viel Bahn-Know-how verfügt.

Kommt es vor, dass Meldungen versanden?

In der SBB werden rund 130 000 Meldungen pro Jahr gemacht. Rund ein Fünftel davon ist sicherheitsrelevant. Unsere bisherigen Abklärungen haben ergeben, dass diesen Meldungen nachgegangen wird und sicherheitskritische Zustände rasch behoben werden. Das ist auch unsere Verantwortung. Bei einer derart grossen Anzahl Meldungen und der Komplexität unseres Unternehmens ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Meldungen nicht zu einer Korrektur führen oder es bis zur Erledigung länger dauert. Auch diesen Aspekt werden wir mit der externen Untersuchung noch vertiefen.

Dann stimmt der Eindruck der Mitarbeitenden, dass die Behandlung von Meldungen zu lange dauert?

Ja, der Eindruck stimmt für einen Teil der Meldungen. Wir sind auch nicht zufrieden damit. Es muss unser Ziel sein, alle Meldungen, nicht nur die sicherheitsrelevanten, rasch zu behandeln. In vielen Fällen würde es schon helfen, wenn wir eine Rückmeldung über den Arbeitsstand geben könnten. Hier werden wir Möglichkeiten prüfen.

Momentan haben wir die Situation, dass die Sonderkontrollen und Reparaturen an den Türen der EW IV, ICBt4 und der EC-Wagen erhebliche personelle Ressourcen in der Instandhaltung binden. Das bedeutet, es dauert länger, bis Mängel, die keine Folgen für die Sicherheit haben, behoben sind. Dieser Zustand wird sich wohl erst im Verlauf des nächsten Jahres verbessern.

Werden wirklich alle Meldungen ernst genommen?

Jede einzelne Meldung ist wertvoll. So wird sie auch behandelt. In der Datenbank ESQ erhält sie Ereignis- und Ursachencodes. Daraus können wir bei den Sicherheitsszenarien Trends ablesen, Risiken bewerten und Massnahmen ableiten. In den Sicherheitsszenarien haben wir alle im Bahnsystem denkbaren Vor- und Unfälle zusammengefasst. Darum ist es so wichtig, dass wir rasch das Vertrauen aller Mitarbeitenden in das Meldesystem zurückgewinnen.

Neben dem Meldewesen hat die SBB auch Gutachten über den Zustand der Flotte und die Prozesse in der Instandhaltung bestellt. Liegt bei der Sicherheit so viel im argen, dass es gleich mehrere externe Überprüfungen braucht?

Sicherheit ist kein abschliessender Zustand, sondern sie muss tagtäglich erarbeitet werden. Das hat der tödliche Unfall des Kundenbegleiters Anfang August auf tragische Weise gezeigt. Es ist unsere Pflicht, zu prüfen, ob auch in anderen Bereichen unerkannte Risiken schlummern könnten.

Was braucht es sonst noch, damit die Sicherheitskultur gestärkt wird?

In einer Sicherheitskultur haben die Mitarbeitenden die Sicherheit stets im Fokus und tun alles, um diese zu verbessern. Dazu gehören auch Offenheit und eine faire Behandlung durch die Vorgesetzten. Ein Mitarbeiter soll einen Fehler melden können ohne Angst vor Konsequenzen, sofern sein Verhalten weder vorsätzlich noch grobfahrlässig war. Ich erinnere an unsere Fairness Guideline. Sie gibt Handlungssicherheit und hat sich bewährt. Mir ist bewusst, dass es hier teilweise noch Arbeit am Führungsverhalten braucht. Am Schluss sind wir alle in der Pflicht, gemeinsam die Sicherheitskultur weiterzuentwickeln.

Wie das Meldesystem funktioniert

Meldungen zu Sicherheit und Qualität sind grundsätzlich über die direkte Führungskraft einzubringen. Diese ist für die Behandlung der Meldung und die Antwort an den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin zuständig. Falls die meldende Person auch nach einer Nachfrage mit der Behandlung ihrer Meldung nicht zufrieden ist, kann sie sich an die nächsthöhere Führungskraft wenden. Weitere Instanz ist die Eskalationsstelle der Division.

Wenn jemand Bedenken hat, eine Meldung an die eigene Führungskraft zu machen, steht beim Personenverkehr und bei Infrastruktur Betrieb der vertrauliche Meldeweg zur Verfügung. Dieser ist nicht anonym, da die vertrauliche Meldestelle in der Lage sein muss, bei Unklarheiten Rückfragen zu stellen. Sie gewährleistet jedoch den vertraulichen Umgang mit der Meldung. Deren Behandlung erfolgt immer in Absprache mit der meldenden Person. Als Eingangstor für verschiedene Meldungsarten dient das Meldeportal.