Im Februar und März 2024 hat die SBB gemeinsam mit Alstom Testfahrten zur Fernsteuerung von Triebfahrzeugen – in diesem Fall einer Lokomotive – durchgeführt. Die Fernsteuerung, welche von Alstom entwickelt wurde, ermöglicht es, Triebfahrzeuge aus einem örtlich entfernten Kontrollraum zu steuern. Mit den Testfahrten wurde geprüft, ob Lokführerinnen und Lokführer einem automatisierten Betrieb (ATO) einen defekten Zug ferngesteuert in einen sicheren Bereich bewegen könnten.
In Zukunft könnte Fernsteuerung beispielsweise bei Tunnelunterhaltsarbeiten oder Baustellen genutzt werden, wo in der Nacht jeweils nur einzelne kurze Bewegungen nötig sind und mittels Fernsteuerung eine grössere Flexibilität möglich wäre. Auch weitere Einsatzmöglichkeiten sind denkbar, wie Züge zwischen Abstellort und Ankunfts- beziehungsweise Abfahrtsgleis zu bewegen. So könnten Lokführerinnen und Lokführer gemeinsam mit den Fahrgästen ein- und aussteigen. Ausserdem könnten damit Arbeitsunfälle wie Stolpern oder Stürzen im Gleisfeld reduziert werden. Bis solche konkreten Anwendungen zum Einsatz kommen, sind jedoch noch viele weitere Schritte nötig. So müssen beispielsweise technische Systeme entwickelt werden, Betriebsprozesse und Regelungen angepasst werden – und dies auf europäischer Ebene. Sicher ist: Der Einsatz von selbstfahrenden Zügen mit Reisenden hat bei der SBB weiterhin keine Priorität.
24 Lokführerinnen und Lokführer aus unterschiedlichen Bereichen im Einsatz
Während der Testfahrten bedienten 24 Lokführerinnen und Lokführer an einem Fernsteuerpult in Oerlikon als «Remote Operator» eine Lokomotive, welche sich in Zürich Mülligen befand. Es handelt sich dabei europaweit um einen der ersten Tests, die unter laufendem Betrieb in einem Rangierbahnhof und nicht wie bisher auf Gleisen fernab des übrigen Schienenverkehrs durchgeführt wurden.
In Oerlikon kam ein von Alstom entwickeltes Fernsteuerpult zum Einsatz. Dieses gleicht einem Simulator-Fahrpult, mit dem Unterschied, dass die Bilder auf den Bildschirmen der Realität entsprechen. Sie werden von verschiedenen auf dem Fahrzeug eingebauten Kameras aufgenommen. So sehen die «Remote Operator» den Fahrweg, die Signale und allfällige Hindernisse.
Wenn die Lokführerinnen und Lokführer die Schalter und anderen Bedienelemente am Fernsteuerpult betätigten, reagierte die Lokomotive in Zürich Mülligen entsprechend – mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde. Auf dem ferngesteuerten Fahrzeug befanden sich während den Testfahrten je ein Lokführer für Probefahrten sowie ein Probefahrtleiter. Sie waren für die betriebliche Sicherheit verantwortlich und konnten und hätten jederzeit eingreifen und bei Bedarf die Fahrt anhalten.
Beat Rappo, Projektleiter Testfahrten Fernsteuerung und selbst Lokführer, zieht ein positives Fazit der Testfahrten und betont die Bedeutung der teilnehmenden Lokführerinnen und Lokführer: «Dadurch, dass 24 Kolleginnen und Kollegen des Personen- und Güterverkehrs sowie der Intrastruktur und des Rangierbetriebs bei den Testfahrten dabei waren, haben wir ganz unterschiedliche Rückmeldungen erhalten, die für uns sehr wertvoll sind für die Weiterentwicklung der Technik», sagt er.
Die «Human Factors», also die Rolle, welche die menschlichen Faktoren spielen und wie sich die teilnehmenden Lokführerinnen und Lokführer in die reale Situation versetzen können, wurde im Rahmen der Testfahrten von Spezialisten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) untersucht. Sie verfügen über langjährige Erfahrung im Bereich des automatisierten Betriebs und begleiten die Testfahrten.
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Testfahrten im europäischen Kontext
Bis Fernsteuerung im Alltag eingesetzt werden kann, werden noch mehrere Jahre vergehen. Die Testfahrten dienen jedoch schon heute der Überprüfung von europäischen Normierungsentwürfen und stellen sicher, dass künftige Normen in der Schweiz anwendbar sind. Dabei sollen neue Erkenntnisse im Bereich Mensch-Technik-Organisation gewonnen werden. Basierend auf den Ergebnissen der Testfahrten werden ein Zwischen- sowie ein Abschlussbericht erstellt und dem Bundesamt für Verkehr zur Verfügung gestellt. Der öffentliche Abschlussbericht steht international für die Spezifikation von Fernsteuersystemen zur Verfügung und stellt so sicher, dass die Bedürfnisse aus der Schweiz bei der Festlegung von europäischen Normen berücksichtigt werden.
Die Testfahrten liefen unter dem Horizon-Europe-Programm «Europe’s Rail Innovation Pillar» und wurden durch Mittel des Bundesamts für Verkehr (BAV) sowie des Schweizer Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) finanziert.
Weitere Vorhaben der SBB im Bereich ATO
Die SBB beabsichtigt gemeinsam mit der Industrie in den nächsten Jahren verschiedene Vorhaben im Bereich ATO zu prüfen. Neben den von Februar bis März 2024 durchgeführten Testfahrten mit der Fernsteuerung eines Triebfahrzeugs sind folgende weiteren Teilprojekte geplant:
- Automatisches Beschleunigen und Bremsen im Güterverkehr (voraussichtlich ab 2025)
- Automatisches Aufstarten von Zügen (voraussichtlich Ende 2024 / Anfang 2025)
- Signal- und Hindernisassistenz (Wahrnehmungssysteme) (voraussichtlich Ende 2024 / Anfang 2025)
Bei den geplanten Tests geht es jeweils darum, aktuelle europäische Normentwürfe auf ihre Anwendbarkeit in der Schweiz zu prüfen, um sicherzustellen, dass künftige Normen umsetzbar sind.