Florian, wie bist du zum Canyoning gekommen?
Nach meinem Tourismus-Studium habe ich ein Praktikum bei einem Unternehmen absolviert, das Canyoning-Touren anbietet. Als ich im Rahmen dieser Anstellung zum ersten Mal in einen Canyon bin, hat es mich sofort gepackt. Darum habe ich gleich die Ausbildung zum Guide gemacht.
Du hast also nicht den klassischen Weg eingeschlagen und dein Hobby zum Beruf gemacht?
Nein. Davor wusste ich nur wenig über Canyoning. Ich war nur dreimal in einer Schlucht, bevor ich mich für die Ausbildung entschied. Ich habe diesen Sport sozusagen direkt als Beruf ausgeübt. Und ich bin ganz ehrlich:
«Damals war mir als Tessiner nicht einmal klar, dass mein Heimatkanton ein Canyoning-Paradies ist.»Florian Schauwecker
Was macht das Tessin zu einem Canyoning-Paradies?
Das Tessin ist nicht besonders gross. Trotzdem gibt es eine riesige Auswahl: Mehr als 200 Canyons sind mit Haken ausgerüstet, damit sie für Touren begangen werden können. Kommt hinzu, dass die Schluchten sehr einfach erreichbar sind. Entweder mit dem Auto oder über einen kurzen Fussmarsch. In anderen Regionen muss man vielleicht einen Tag lang wandern, um zu einem coolen Canyon zu gelangen. Und nicht zuletzt macht das vorherrschende Gestein, der Gneis, das Tessin zu einem Canyoning-Paradies.
Gneis? Was ist daran besonders?
Über die Jahrhunderte hat sich das Wasser regelrecht in den weichen Gneis gefressen und das Gestein geschliffen. So sind wunderschöne Felsformationen entstanden und Oberflächen, die als Rutschen verwendet werden können. Neben den Rutschen gibt es hier zahlreiche Sprünge und Möglichkeiten zum Abseilen. In anderen Ländern, wo andere Steinarten vorherrschen, hat man diese Vielfalt oft nicht. Die Schluchten im Tessin bieten darum einen aussergewöhnlich hohen Spassfaktor.
Was fasziniert dich am Canyoning?
Es ist die Kombination der verschiedenen Aktivitäten: Springen, Rutschen, Abseilen, Laufen und Schwimmen. Das alles vor einer wunderschönen Kulisse, in dieser einzigartigen Natur. Ausserdem kann ich im Canyon abschalten, wenn ich mal einen stressigen Tag habe. Sobald ich in der Schlucht bin, bin ich hundert Prozent da. Im Moment. Konzentriert auf das, was ich mache. Es ist so schön und intensiv, dass ich den Alltag völlig vergesse. Und nach der Tour bin ich total entspannt. Für mich ist das eine Art von Meditation. Und das fasziniert mich.
Nicht schlecht, wenn man beim Arbeiten abschalten kann. Die meisten Menschen schalten in der Freizeit von der Arbeit ab.
Das ist tatsächlich eine der schönsten Seiten meines Berufes.
Klingt nach einem Traumjob.
Das höre ich immer wieder: «Du hast ein schönes Büro, du hast einen super Job!» Aber man darf nicht vergessen, dass ein Guide viel Verantwortung trägt. Er muss die richtigen Entscheidungen treffen, die Arbeit kann physisch und psychisch sehr anspruchsvoll sein. Das Wasser und das Adrenalin zehren an den Kräften. Aber für mich ist es definitiv ein Traumjob.
Und wo ist der Haken?
Ich bin nicht immer in den Canyons, ich arbeite auch oft im Büro. Gefühlt beginnt mein Arbeitstag dann, wenn ich aus der Schlucht komme, mich an den Computer setze, Mails beantworte, organisiere. Kurz:
«Ich liebe meine Arbeit, könnte aber auf bestimmte Dinge verzichten. Doch das gibt es in jedem Job.»Florian Schauwecker
Bleibt dir da noch Zeit, deinen Hobbys nachzugehen?
Im Sommer bin ich sehr mit der Arbeit ausgelastet. Dann ist es eher schwierig. Trotzdem nehme ich mir die Zeit und gehe Kajak fahren oder Biken. Mehr Zeit für Hobbys habe ich im Winter, wenn wir keine Touren durchführen. Dann gehe ich Klettern, Wandern oder mache Skitouren mit dem Splitboard. Ab und zu widme ich mich auch dem Winter-Canyoning.
Winter-Canyoning? Ist das nicht kalt und anstrengend?
Darum wird Winter-Canyoning auch nicht kommerziell betrieben. Erstens hat niemand Interesse daran und zweitens gibt es im Winter weniger Touristen im Tessin. Es ist auch wichtig, dass sich Flora und Fauna ausruhen können und man die Schlucht im Winter in Ruhe lässt. Es herrschen spezielle Bedingungen: Die Temperatur ist sehr tief, wodurch sich Eis bilden kann. Das Wasser ist vielleicht zwei bis drei Grad kalt und dann braucht man einfach mehr Ausrüstung: Neopren-Handschuhe, dicke Socken, ein Trockenanzug. Es ist alles ein wenig komplizierter und die Gefahr ist natürlich grösser. Darum ist Winter-Canyoning schon auch etwas Extremeres und sicher nicht für alle geeignet.
Biken, Freeriden, Winter-Canyoning: Bist du süchtig nach Adrenalin?
Überhaupt nicht. Ich bin kein Adrenalin-Junkie. Ich bin gerne draussen und mache Sport. Eigentlich ist die Sportart zweitrangig. Aber das Wasser gibt dir eben schon auch eine spezielle Energie. Klar ist das Adrenalin cool, aber man sollte es nicht übertreiben. Ich würde jetzt nicht jeden Tag Skydiving oder Bungee-Jumping machen. Das brauche ich nicht.
Du bist jetzt dreissig Jahre alt, wie lange wirst du das noch machen?
Ich hoffe, dass ich dieser schönen Arbeit noch lange nachgehen kann. Ich habe viel Abwechslung und gönne meinem Körper auch immer wieder Pausen, wenn ich zum Beispiel im Büro bin. Das ist wichtig. Und wenn man gut auf den Körper hört, kann man das sehr lange machen. Aber acht Stunden am Tag im Büro sitzen, das wäre nichts für mich.