Was macht die SBB eigentlich gegen Naturgefahren? 

Ein Wetterextremereignis jagt aktuell das nächste – und nicht selten wirken sie sich auch auf den Bahnbetrieb aus. Beispielsweise in St. Fiden, wo ein Hang ins Rutschen kam oder zwischen Siders und Visp, wo die Rhone die Bahnstrecke überflutete. Doch was unternimmt die SBB eigentlich dagegen? Das erklärt Marc Hauser, Leiter Naturgefahren im Interview.

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Marc Hauser, Leiter Naturgefahren SBB

Marc, wir hören immer mehr von Hangrutschen und Überschwemmungen. Nehmen Naturgefahren durch den Klimawandel zu?

Grundsätzlich kann noch von keiner signifikanten Zunahme an klimabedingten Naturgefahrereignissen gesprochen werden. In der Praxis stellen wir aber fest: neue Gefahrenprozesse wie beispielsweise Gleitschnee oder «slush flows» (eine Art Murgang aus verflüssigtem Nassschnee) haben stark zugenommen.

Wir führen diese Ereignisse auf höhere Temperaturen im Winterhalbjahr sowie auf eine stark und sehr schnell variierende Nullgradgrenze zurück. Das Sommerhalbjahr 2023, welches viel zu warm und gleichzeitig zu nass war, hat zudem diesbezüglich einen neuen Trend belegt.

Zudem stellen wir eine Zunahme menschlich verursachter Ereignisse fest. Dazu gehören Überschwemmungen und Übersaarungen durch intensiven Oberflächenabfluss aufgrund Bodenversiegelungen oder -verdichtungen aus der Landwirtschaft sowie Rutschungen aufgrund schlecht geplanter oder gebauter künstlicher Böschungen oder Murgängen.

Was bedeutet das genau für die Bahn und die SBB? Was sind die grössten Herausforderungen?

Kontinuierlich steigende Temperaturen, zunehmend häufigere und intensivere Hitzewellen mit Trockenperioden sowie Wassermangel und die Zunahme von Wald- und Böschungsbränden stellen neue Herausforderungen und Risiken für das Anlagemanagement der Bahninfrastruktur dar.

Diese Entwicklungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von verstärkter Abnutzung und Schäden an der Bahninfrastruktur, wie Schienen, Fahrzeugen und Gebäuden. Solche technischen Risiken können, ähnlich wie klassische Naturgefahren, zu Unterbrechungen, Ausfällen oder Verspätungen im Bahnbetrieb führen und die Verfügbarkeit, Pünktlichkeit sowie die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen. Um die Sicherheit der Kundinnen und Kunden langfristig sicherzustellen, könnte es notwendig werden, Anlagen vorzeitig zu ersetzen und Wartungsarbeiten zu intensivieren. Dies würde zukünftig zu steigenden Lebenszykluskosten sowie zu höheren Kosten für Prävention und Bewältigung von Extremwetterereignissen führen.

Aber: Mit der Anhebung der Nullgradgrenze im Winter verringern sich der Aufwand und somit die Kosten für die Wartung von Anlagen bei Frost und Schneefall. Zudem benötigt die SBB im Winter weniger Energie für das Heizen von Gebäuden und Weichen. Die höheren Wintertemperaturen ermöglichen es ausserdem, die Bauarbeiten in den Wintermonaten zu intensivieren. Da zukünftig im Winter mehr Regen als Schnee fällt, könnte kurz- bis mittelfristig mehr Wasser für die Energieproduktion zur Verfügung stehen.

Was macht die SBB zum Schutz gegen Naturgefahren?

Bei der Planung und dem Bau neuer Naturgefahrverbauungen rechnet die SBB seit bereits 15 Jahren auch die Auswirkungen des Klimawandels mit.

Dank über 5400 Schutzbauten reduziert die SBB etwas mehr als die Hälfte des gesamten Personenrisikos von Kundinnen, Kunden und Mitarbeitenden schweizweit. Die andere Hälfte wird über organisatorische Schutzmassnahmen und mit Beteiligungen an grossen integralen Schutzprojekten mit Dritten reduziert. Dabei kommt modernste Technologie, wie Satellitendaten, Georadar, Lawinensprengmasten oder elektronische Alarmsysteme zum Einsatz. Mit Hilfe der digitalisierten Naturgefahrenüberwachung, oder Investitionen in innovative Projekte wie beispielsweise einem ferngesteuerten Bagger, versuchen wir den Klimawandel zu antizipieren.

Als Massnahme gegen Hitzeinseln und Starkregen entsiegelt die SBB heute bereits punktuell Flächen und erhöht deren Wasserspeicherfähigkeit nach dem Schwammstadtprinzip. An besonders exponierten Stellen bauen wir zudem die Gleise so ein, dass sie sich bei Hitze weniger schnell ausdehnen.

Wieviel kostet die Naturgefahrenprävention jährlich?

Die SBB investiert durchschnittlich pro Jahr 10 bis 15 Millionen Franken, um Kundinnen und Kunden, Mitarbeitende und sich vor Naturgefahren zu schützen.

Das ist relativ gesehen eine kleine Summe, angesichts des gesamten Naturgefahrenrisikos. Möglich macht dies die risikobasierte Naturgefahrenstrategie, welche vor 15 Jahren eingeführt wurde und zu einer enormen Effizienzsteigerung im Naturgefahrenmanagement der SBB geführt hat.