Seit April 2024 fliesst aus den Zapfpistolen der 64 Schienentankstellen der SBB nicht mehr reiner fossiler Diesel. Dem herkömmlichen Dieselkraftstoff wird neu HVO beigemischt. HVO steht für «Hydrotreated Vegetable Oils», also hydrierte Pflanzenöle. Eine ökologische Kraftstoffalternative, die dazu beiträgt, den CO2-Ausstoss von Schienenfahrzeugen um bis zu 25 Prozent zu reduzieren. Philipp Haudenschild ist Projektleiter für die Einführung von HVO bei der SBB. Im Interview erklärt er, warum sich die SBB trotz Mehrkosten dafür entschieden hat und warum die SBB überhaupt noch Diesel braucht.
Was ist HVO?
Im Gegensatz zum fossilen Diesel, der aus Erdöl gewonnen wird, ist HVO ist ein biomassenbasierter Dieselkraftstoff – oft auch Biodiesel zweiter Generation genannt. HVO-Kraftstoff wird aus Rest- und Abfallstoffen hergestellt. Im Prinzip aus allem, was Fett drin hat. Oft sind dies gebrauchte Pflanzenöle oder Abfälle aus der Lebensmittelindustrie. Diese werden in einer Raffinerie mittels «hydrogenation & hydrocracking» – einem chemischen Prozess, der zusammengefasst «hydrotreatment» genannt wird – zu Dieselkraftstoff verarbeitet. Dieser kann in einem beliebigen Verhältnis dem regulären Diesel beigemischt werden – so wie Sirup Wasser hinzugefügt wird.
Diesel? Die SBB Züge fahren doch mit Strom?
Alle Personenzüge der SBB fahren mit Strom. Gleichzeitig besitzt die SBB rund 1000 Schienenfahrzeuge und Maschinen mit Dieselmotoren. Dazu zählen primär Bau- und Unterhaltsfahrzeuge, aber auch Rangierlokomotiven beim Einzelwagenladungsverkehr oder die Lösch- und Rettungszüge. Ebenso auf Diesel angewiesen sind Notstromgeneratoren. Ohne diese Fahrzeuge und Maschinen funktionieren Instandhaltung und Rettung nicht. Sie sind meistens dann unterwegs, wenn es keinen Stromzufluss gibt. Entweder ist die Fahrleitung ausgeschaltet oder es gibt gar keine Fahrleitung.
«Mit dem Einsatz von HVO-Blend bei der SBB reduzieren wir die CO2-Emissionen um 7500 Tonnen pro Jahr.»Philipp Haudenschild
Warum ist HVO-Diesel nachhaltiger als herkömmlicher Diesel?
Der entscheidende Punkt in der Ökobilanz eines Kraftstoffes ist der verwendete Rohstoff – im Fall von HVO sind das erneuerbare Ressourcen. Dazu kommt, dass die Verbrennung sauberer ist. Mit dem Einsatz von HVO-Blend bei der SBB reduzieren sich die CO2-Emissionen um 7500 Tonnen pro Jahr. Dies entspricht etwa der durchschnittlichen jährlichen CO2-Emission von rund 600 Personen in der Schweiz.
Die SBB setzt auf einen HVO-Blend, also eine Mischung, mit 25 Prozent HVO, 75 Prozent fossilem Diesel. Warum nicht gleich 100 Prozent HVO?
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens gibt es bei der SBB noch Fahrzeuge mit älteren Dieselmotoren, die 100 Prozent HVO nicht ertragen. Mit dem gewählten Verhältnis kann die SBB den Treibstoff jedoch überall einsetzen. Zweitens ist 100 Prozent HVO-Diesel im Verhältnis sehr teuer. Die Beimischung ist ein Kompromiss und sofortige Massnahme zur Reduktion der Treibhausgase.
Dieselbetriebene Fahrzeuge und Maschinen, die das Ende ihrer Lebenszeit erreichen, werden nach und nach durch elektrisch betriebene Maschinen ersetzt. Wo eine Wende nicht möglich ist, peilt die SBB langfristig 100 Prozent HVO oder andere synthetische Kraftstoffe an.
Fahren auch die Strassenfahrzeuge der SBB künftig mit dem HVO-Blend?
Nein, denn diese tanken normalerweise an regulären Tankstellen. Möglich wäre es theoretisch, aber die Schienentankstellen sind natürlich auf die Schienen ausgerichtet. Auch bei Autos findet bei einer Neuanschaffung – wo sinnvoll – ein Wechsel zum elektrischen Antrieb statt.
Wie viel teurer ist HVO-Blend im Vergleich zum regulären Diesel?
Die Kosten sind etwa 10 Prozent höher.
Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Schweiz beim Thema HVO im Hintertreffen. Warum ist die SBB trotzdem auf den HVO-Zug aufgesprungen?
Tatsächlich kann man zum Beispiel in Italien oder Finnland bereits an regulären Tankstellen HVO beziehen. In der Schweiz gibt es das noch nicht. Die regulatorischen Rahmenbedingungen hierzulande sind viel strenger als in der EU. Hier wird auch noch kein HVO hergestellt. Treiber für den Entscheid ist die Klimastrategie der SBB.
Was besagt die Klimastrategie der SBB?
Eines der wichtigsten Ziele der SBB ist es, einen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen zu leisten. Die SBB strebt an, die direkten Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent und bis ins Jahr 2040 um 92 Prozent zu reduzieren. Dies gegenüber dem Wert von 2018.
Neben der Umstellung von reinem fossilen Diesel auf HVO-Blend sowie auf den elektrischen Betrieb bei Schienen- und Strassenfahrzeugen gibt es weitere Projekte zur Reduktion der Treibhausgase: Zum Beispiel das Ersetzen von gasbetriebenen Weichenheizungen. Auch beim Neubau oder Ersatz von Heizungen werden konsequent Systeme verbaut, die ohne fossile Energieträger wie Heizöl oder Erdgas auskommen – zum Beispiel Wärmepumpen. Das Fernziel ist klar: Kein fossiler Diesel mehr bei der SBB.
Bereits heute leistet die SBB einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz der Schweiz. Informationen rund um das Engagement der SBB für die Umwelt:
Mister HVO: Philipp Haudenschild
Das in Angriff genommene Maschinenbaustudium brach er einst zugunsten einer Automobilmechatroniker-Lehre ab. Daraufhin studierte er Fahrzeugbau und kam via Trainee-Programm 2018 zur SBB. Seit dem Start des Projekts zur Einführung eines Ersatz-Diesels vor vier Jahren, leitet er dieses. Ihn fasziniert, dass man mit HVO einen Hebel in Bewegung setzt, um die letzten direkten CO2-Emissionen der SBB zu beseitigen. Und das mit einer relativ einfachen Lösung.