Die Kundenpünktlichkeit ist zwar in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und im europäischen Vergleich hoch. Regional und auf einzelnen Linien ist sie jedoch zeitweise auf einem ungenügenden Niveau. Die SBB hat Ende 2018 das Programm «Kundenpünktlichkeit 2.0» lanciert und eine Expertengruppe damit beauftragt, die Analyse zu unterstützen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Bahnsystem zeit- und stellenweise über zu knappe Reserven verfügt. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen:
- Die SBB hat Fehler gemacht, zum Beispiel bei der Bedarfs-, Einsatz- und Ausbildungsplanung des Lokpersonals. Darum stehen an Spitzentagen zu wenig Lokführerinnen und Lokführer zur Verfügung und die Einteilerinnen und Einteiler stehen unter Druck.
- Die neuen Fernverkehrs-Doppelstockzüge haben mehrere Jahre Verspätung.
- Mehr Baustellen dank zusätzlichen Geldern aus dem Bahninfrastrukturfonds führen zur neuen Herausforderung, das richtige Gleichgewicht zwischen Bahnbetrieb und Bauen zu finden.
- Gleichzeitig reisen immer mehr Personen mit den Zügen der SBB; im ersten Halbjahr 2019 ist die Nachfrage um sieben Prozent gestiegen.
- Als Reaktion auf die steigende Nachfrage fährt die SBB heute ein möglichst umfangreiches Angebot. Der Zusatzverkehr wegen Events in der ganzen Schweiz hat dieses Jahr den höchsten Wert seit 2002 erreicht. Ein grosser Teil des Eventverkehrs fällt im Sommer an – zeitgleich mit der Hochsaison auf den Bahnbaustellen.
- Von den langfristigen Planungen bis hin zum täglichen Betrieb wurden Kompromisse zugunsten des Bahnangebots und zulasten der Pünktlichkeit gemacht, ohne diese hinreichend transparent zu machen. Dies, um beispielsweise möglichst vielen Kunden möglichst viele Verbindungen anzubieten oder um auf Wunsch von Kantonen und Gemeinden möglichst viele Halte zu bedienen.
Dies hat dazu geführt, dass der Bahnbetrieb heute zu oft am Limit läuft und dass die operativen Bereiche der SBB zu häufig im Task-Force-Modus arbeiten. In den kommenden Jahren wird es anspruchsvoll bleiben, die Schweizer Bahn stabil zu betreiben: Das Angebot inklusive Zusatzverkehr wird weiter ausgebaut. Seit 2014 hat die SBB den Unterhalt der Bahninfrastruktur intensiviert, um den dortigen Rückstand aufzuholen. Seit 2017 stehen dafür deutlich mehr Mittel aus der Leistungsvereinbarung mit dem Bund zur Verfügung. Die Baustellen nehmen in den nächsten Jahren nochmals zu, da die SBB den Rückstand beim Unterhalt noch nicht aufgeholt und weitere Ausbauarbeiten anstehen. Ausserdem stehen die Lokführerinnen und Lokführer, deren Stellen neu geschaffen worden sind und die sich momentan in Ausbildung befinden, erst gegen Ende 2020 zur Verfügung. Deshalb werden insbesondere Lokführer und Diensteinteilerinnen noch einige Monate stark gefordert sein. Die SBB muss deshalb weitere Massnahmen ergreifen, um das Bahnsystem zu entspannen.
Erste Massnahmen aus Kundenpünktlichkeits-Programm für Fahrplan 2020.
Nun sind die Stossrichtungen des Programms «Kundenpünktlichkeit 2.0» bekannt: Im Zentrum stehen ein robuster Fahrplan und mehr Reserven beim Rollmaterial und beim operativen Personal. Ausserdem muss die kurz-, mittel- und langfristige Planung des Angebots, des Bahnbetriebs und der Bauarbeiten in Anbetracht der steigenden Herausforderungen verbessert werden. Beispielsweise könnten die Infrastrukturbetreiberinnen ihre Baustellen früher verbindlich ankündigen; für die Eisenbahnverkehrsunternehmen könnte eine Einsprachemöglichkeit geschaffen werden. Klar ist dabei: Sicherheit geht immer vor. Erste Massnahmen ergreift die SBB zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2019.
Weitergehende betriebliche Entspannungen sind in den nächsten ein bis zwei Jahren zu erwarten. Möglich macht dies die Inbetriebnahme von neuem Rollmaterial und die Umsetzung weiterer Massnahmen. So will die SBB die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit ihrer Züge, Anlagen und IT erhöhen, Engpässe in der Planung früher erkennen und ihre Prozesse aufgrund von Erkenntnissen aus Störungsfällen verbessern.
Massnahmen per Fahrplanwechsel 2019.
Mit dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2019 macht die SBB einige neuralgische Anschlüsse zuverlässiger. Dabei geht es um Anpassungen im Minuten- oder gar Sekundenbereich – mehr ist kurzfristig nicht möglich.
Um die Anschlüsse in Bern und Zürich aus dem Berner Oberland und dem Wallis zu verbessern, führt die SBB in Spiez das «First in, first out»-Prinzip ein. Der IC8 aus Brig und der IC61 aus Interlaken Ost treffen heute praktisch zeitgleich im Bahnhof ein; gemäss Fahrplan fährt der IC61 drei Minuten vor dem IC8 weiter nach Bern. Künftig fährt derjenige Zug zuerst ab, der früher bereit ist. So verhindert die SBB, dass die Verspätung eines Zuges auf den anderen übertragen wird. Dies reduziert die Anzahl Anschlussbrüche in Bern und Zürich um die Hälfte, macht aber auch eine gute Live-Kundeninformation in Spiez nötig, damit Reisende nicht in den falschen Zug einsteigen oder nötigenfalls noch umsteigen können.
Ausserdem empfiehlt die SBB künftig Reisenden zwischen Ostschweiz und Mittelland und umgekehrt, am Flughafen statt am Hauptbahnhof Zürich umzusteigen. Am Flughafen halten die entsprechenden Züge am selben Perron, was die Umsteigezeit verkürzt und die Anschlüsse zuverlässiger macht, ohne dass der Fahrplan angepasst wird. Im Hauptbahnhof Zürich ist dies nicht möglich, weil die betroffenen Züge in unterschiedlichen Teilen des Bahnhofs halten. Auch bei dieser Massnahme ist die Kundeninformation über die SBB Mobile App und die weiteren Kanäle zentral, denn die Fahrgäste müssen ihre eingespielte Umsteigeroutine ändern.
Bei der Angebotsplanung will die SBB Kompromisse zulasten der Kundenpünktlichkeit zukünftig gegenüber den Stakeholdern transparent aufzeigen und die Kundenpünktlichkeit stärker gewichten. Gerade das Gleichgewicht zwischen Bahnangebot und Baustellen muss die SBB neu finden. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz für Simulationen und Modellierungen zur Überprüfung der Robustheit des Fahrplans helfen dabei. Das entsprechende Knowhow muss die SBB weiter aufbauen.
Auf einzelnen Strecken könnte der Fahrplan entspannt werden, indem Streckenausbauten oder Innovationen für mehr zeitliche Reserven genutzt würden – und nicht zu 100 Prozent für zusätzliche Züge oder kürzere Reisezeiten. Eine weitere mögliche Massnahme ist, zugunsten eines stabileren Betriebs Halte zu überprüfen: Einzelne Halte könnten für bestimmte Zugskategorien (S-Bahn, Interregio etc.) aufgehoben werden, sofern die Reisekette mit anderen Zügen oder Angeboten gewährleistet ist.
Nord-Süd-Achse: Aufbaufahrplan ab 2021 mit Fokus Zuverlässigkeit.
Im Dezember 2020 nimmt die SBB den Ceneri-Basistunnel in Betrieb, womit die Neue Alpentransversale fertig gestellt sein wird. Die SBB plant für eine erste Phase einen Aufbaufahrplan, um ein stabiles Angebot im Personen- und Güterverkehr sicherzustellen.
Die Reisezeit Zürich–Mailand beträgt wegen eingeplanter Reserven vorerst 3 Stunden und 17 Minuten. So gewährleisten die SBB und Trenitalia die Zuverlässigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr. Ziel ist eine Fahrzeit Zürich–Mailand von 3 Stunden und 2 Minuten ab 2022. Gemeinsam mit den italienischen Partnern setzt die SBB alles daran, die Voraussetzungen in der Schweiz und Italien sobald wie möglich dafür zu schaffen.
In der Schweiz beträgt die Fahrzeit zwischen Zürich und Lugano ab Dezember 2020 – dank der Fertigstellung einiger Bauprojekte wie Zugersee Ost – weniger als zwei Stunden. Im Tessin können die Fahrzeitgewinne wie z.B. die Halbierung der Fahrzeiten zwischen Bellinzona und Lugano und die Direktverbindung Locarno-Lugano ab Dezember 2020 umgesetzt werden.
Aufgrund der noch laufenden Abschlussarbeiten im Gotthard-Basistunnel kann in der Aufbauphase noch nicht die volle Kapazität angeboten werden. Die verfügbare Kapazität reicht aber aus, um die aktuelle Nachfrage sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr abzudecken. Der konkrete Fahrplanentwurf wird Ende Mai 2020 kommuniziert; die definitive Trassenzuteilung für den Güter- und Personenverkehr erfolgt jeweils im Spätsommer 2020.
Kundeninformation verbessern und Präferenzen analysieren.
Die SBB verbessert die Kundeninformation schrittweise und entwickelt sie weiter. Denn eine ehrliche, rasche und konsistente Kundeninformation mit guten Prognosen ist für die Reisenden gerade im Störungsfall wichtig. Sowohl interne Analysen konkreter Ereignisse als auch Kundenrückmeldungen zeigen, dass die Kundeninformation der SBB heute ungenügend ist.
Abhilfe schaffen wird die SBB unter anderem mit der SBB Mobile App. Per Ende Jahr können Kundinnen und Kunden in der Preview-Version Push-Meldungen für einzelne Züge abonnieren. Die SBB plant, die neuen Funktionen in der ersten Jahreshälfte 2020 in der normalen App umzusetzen. Ab Mitte 2020 soll dies in beiden Apps auch für einzelne Verbindungen möglich sein. Zentral ist dabei die persönliche Information, sei dies über die App oder im Online-Fahrplan oder durch Kundenbetreuerinnen und -betreuer, Lautsprecherdurchsagen und Anzeigen auf Bildschirmen im Zug und am Bahnhof.
Pünktlichkeit ist für die Kundinnen und Kunden der SBB sehr wichtig: Sie dürfte zusammen mit Komfort und guten Mobilfunkverbindungen in Zügen relevanter sein als Fahrzeitgewinne von wenigen Minuten. Diese und weitere Hypothesen zur Bedeutung der Pünktlichkeit für ihre Kunden überprüft die SBB in einer Marktforschungs-Studie. Parallel dazu befragt die SBB bis Ende Jahr Kundinnen und Stakeholder. Dabei geht es um die Akzeptanz, für eine bessere Pünktlichkeit beispielsweise auf gewisse Halte und Anschlüsse zu verzichten oder längere Reisezeiten in Kauf zu nehmen.
Pünktlichkeit ist auch eine Frage der Unternehmenskultur, darum will die SBB die Pünktlichkeit stärker im Unternehmen verankern. Dabei gilt der Leitsatz: «Gemeinsam konsequent pünktlich. Mit Anschluss». Kundenpünktlichkeit ist nur mit gemeinsamen Anstrengungen möglich – innerhalb der SBB, von der Planung bis zur täglichen Bahnproduktion, und auch ausserhalb des Unternehmens, mit Behörden und Partnern.
Strengste Pünktlichkeitsvorgabe, dichtestes Bahnnetz Europas.
Die zulässige Verspätung von drei Minuten, mit der ein SBB Zug noch als pünktlich gilt, ist die strengste Vorgabe unter den europäischen Bahnen. Mit über 150 Zügen pro Strecke und Tag betreibt die SBB das am höchsten ausgelastete Bahnnetz Europas, auf dem zudem Personen- und Güterzüge im Mischverkehr unterwegs sind. Nur die Niederlande erreichen einen ähnlich hohen Wert; in allen anderen Ländern liegt die Auslastung bei unter 100 Zügen pro Strecke und Tag.
Was viel genutzt wird, muss gut unterhalten und weiter ausgebaut werden. Deswegen gibt es auch immer mehr Baustellen. 2019 fuhr die SBB zudem von Mitte Mai bis Mitte Oktober wegen zahlreicher Events wie dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest und der Fête des Vignerons über 1900 Extrazüge – so viele wie seit der «Expo.02» nicht mehr.