«Wir machen Bahn – heute und in zehn Jahren»

Vincent Ducrot ist seit dem 1. April 2020 CEO der SBB. Sein Amtsantritt fiel mitten in die Corona-Krise. Betrieblich konnte diese dank des Einsatzes der Mitarbeitenden bisher gut bewältigt werden. Aber die SBB muss mit einem Verlust im dreistelligen Millionenbereich rechnen. Die Finanzen des Unternehmens werden in nächster Zeit im Fokus stehen. Gleichzeitig galt es für den neuen CEO, die Zukunft zu planen. Das Bahnsystem muss robuster und stabiler werden. Das Kerngeschäft soll für die Kundinnen und Kunden stabilisiert und gestärkt werden. Markant erhöht werden Investitionen in die Zugsflotte. Die hohen Erwartungen an die SBB will Ducrot mit den 33 000 Mitarbeitenden erfüllen und möglichst übertreffen. Er betont: «Wir machen Bahn – heute und in zehn Jahren.»

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Er habe in den ersten 100 Tagen als CEO die SBB neu kennengelernt, sagte Vincent Ducrot anlässlich seiner ersten Bilanz vor den Medien: «Ich habe mit vielen Mitarbeitenden gesprochen, habe gute und engagierte Leute in der Fläche und in den Führungsteams getroffen.» Wegen der Corona-Krise fanden viele Kontakte virtuell statt. Die Bewältigung der Krise habe vom ersten Tag an im Vordergrund gestanden: «Wir sind bis jetzt gut durch die Krise gekommen, aber es war sehr anspruchsvoll. Den Mitarbeitenden gebührt grosser Dank für ihre engagierte Arbeit.» 

Gleichzeitig galt es, die Zukunft vorzubereiten: «Eine solide Basis ist vorhanden, aber die SBB hat viele Herausforderungen.» Die finanzielle Situation der SBB sei ernst, es drohe ein Verlust im dreistelligen Millionenbereich: «Dank der Unterstützung des Bundes ist die Liquidität vorerst sichergestellt.» Die SBB werde mit dem Eigner eine mittelfristige Planung erstellen, auch um den Schuldendeckungsgrad zu stabilisieren. Die SBB werde den politischen Prozess für die finanzielle Unterstützung des Regionalverkehrs und der Infrastruktur begleiten: «Bei Fernverkehr und Immobilien muss die SBB die Ertragsausfälle selber decken.»

Aus betrieblicher Sicht gibt es viel zu verbessern, so Vincent Ducrot: «Das Bahnsystem ist zu wenig robust und am Limit.» Die SBB verfüge über zu wenig Reservezüge, beim Unterhalt der Flotte sei zu wenig investiert worden. Der Fahrplan sei nicht immer stabil genug. Im vergangenen Jahr seien die Baustellen ungenügend koordiniert und geplant worden. Beim Personal gebe es Lücken oder zu knappe Ressourcen, insbesondere in den Basisberufen der Bahn wie bei Lokführern. Ausgetrocknet sei der Markt auch bei Handwerksspezialisten, Ingenieurinnen oder IT-Fachkräften. Aus all diesen Gründen sei der Bahnbetrieb heute zu wenig zuverlässig: «Zu oft geht es heute nicht auf für unsere Kundinnen und Kunden.» 

Kerngeschäft für Kundinnen und Kunden stärken.

Er wolle das Kerngeschäft wieder als Kern betreiben, sagte Vincent Ducrot: «Im Zentrum steht alles, was es zum Bahnfahren braucht: Züge, Bahnhöfe, Bahninfrastruktur und gute, motivierte Mitarbeitende, die mit Herz und Seele dabei sind.» Die Kontakte mit der Politik und den ÖV-Partnern habe ihm gezeigt, dass viel Goodwill vorhanden sei, aber auch hohe Erwartungen. Die SBB sei ein Service-public-Unternehmen im Dienst der Schweiz: «Wir wollen die Erwartungen an uns erfüllen und möglichst übertreffen.» Zentral für ihn als neuer CEO der SBB sei dabei die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden. Trotz der grossen Herausforderungen sei er zuversichtlich: «Es ist eine faszinierende, intensive Aufgabe, die mir sehr viel Freude macht.» Der CEO allein mache aber nie die Eisenbahn aus, das «Wir» sei ihm sehr wichtig: «Wir sind 33 000, wir sind eine SBB.» Und mit Blick in die Zukunft: «Wir machen Bahn – heute und in zehn Jahren».

Fokus auf Kerngeschäft im Detail: 

  • Zwei neue Konzernbereiche geschaffen: Der Bereich «Kunden» koordiniert neu alle Kundenthemen – für Reisende und Kunden an Bahnhöfen. Als ehemaliger Konsumentenschützer kennt Leiter Mathieu Fleury die Anliegen und Bedürfnisse der Kunden bestens. Der Bereich «Sicherheit und Produktion» steuert die Produktion übergreifend, mit Fokus auf Sicherheit, Pünktlichkeit und Qualität. 
  • Zugsflotte stärken: Positiv entwickelt sich die Zuverlässigkeit bei FV-Dosto und Giruno. Der FV-Dosto wird verstärkt als IC1 eingesetzt. Heute investiert die SBB jährlich 1 Milliarde Franken in neue Züge und in den Unterhalt der bestehenden Flotte. Künftig werden es 1,3 Milliarden Franken sein. Der neue CEO will die bestehende Flotte aufstocken und den Unterhalt verstärken. Bei der Beschaffung setzt die SBB gemäss Rollmaterialstrategie auf möglichst wenig Fahrzeugtypen, so beim Ersatz der einstöckigen S-Bahn-Triebzüge. 
  • Fahrpläne stabiler machen: Die Fahrpläne 2022 und 2025 werden von internen und externen Fahrplan-Experten einem Robustheitscheck unterzogen. Allfällige Massnahmen werden mit Bund und Kantonen abgestimmt. Ziel ist ein deutlich stabilerer Fahrplan mit verbesserter Pünktlichkeit. Im Zentrum stehen die Zugspünktlichkeit und die Anschlüsse. 
  • Baustellen besser planen: Bauarbeiten werden so organisiert und geplant, dass ein stabilerer Bahnbetrieb möglich ist. Das bedeutet: Die Arbeiten werden besser übers Jahr verteilt, mehr gebaut wird während der Nacht, den Wochenenden und in Ferienzeiten. Alle zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel werden ausgeschöpft.
  • Personal fördern: Die Situation bei den Lokführerinnen und Lokführern bleibt über den Sommer sehr angespannt. Im Herbst werden 340 Lokführer in Ausbildung sein, das sind 10 Prozent des Fahrpersonals. Lokführer werden künftig für mehr Strecken und Fahrzeugtypen geschult und flexibler einsetzbar sein. Im Verlauf des kommenden Jahres wird die SBB dank Ausbildungen und Abtretung von Fernverkehrslinien wieder über genügend Lokführerinnen und Lokführer verfügen. Auch bei weiteren Berufsgruppen sind Ausbildungsoffensiven (z.B. Teilzeitausbildung Zugpersonal) oder Initiativen für den beruflichen Wiedereinstieg (z.B. IT) im Gang. 
  • Intelligente Innovationen für Kunden: Die SBB will technische Innovationen nutzen, um die Bahn für die Kundinnen und Kunden weiterzubringen. Beispiele: Wagenscharfe Belegungsanzeige einzelner Wagen in Echtzeit, Push-Nachrichten zu einzelnen Strecken in SBB Mobile App ab Mitte Juli 2020. Bei der Multimobilität will die SBB dank konkreten Digitalisierungsprojekten Mehrwert für die Reisenden schaffen: Der ÖV soll viel einfacher mit individuellen Transportmitteln kombiniert werden können, dank bewährten und neuen Partnerschaften sowie Online-Plattformen für Drittprodukte. 
  • Internationalen Personenverkehr ausbauen: Die SBB will das Corona-Momentum und eine allfällige Verlagerung von Flug- zu Zugreisen nutzen: Der internationale Fernverkehr wird mittel- und langfristig ausgebaut. Richtung Deutschland wird es mehr Tagesverbindungen geben. Bei den Nachtzügen strebt die SBB zusammen mit ÖBB einen markanten Ausbau an. 
  • Immobilien im Dienst der starken Bahn: Bahnhöfe sollen sicher, sauber und attraktiv sein: Die SBB will Services in Bahnhöfen künftig wieder selber und in sehr guter Qualität anbieten, etwa WC-Anlagen oder Park&Rail. Die SBB wird zukünftig mehr preisgünstige Wohnungen anbieten: Bislang wurde ein Drittel angestrebt, nun sollen knapp die Hälfte der Wohnungen bis 2037 im preisgünstigen Segment sein. 
  • SBB Cargo Rückgrat der Landesversorgung: Die Corona-Krise hat gezeigt: SBB Cargo spielt dank den grossen transportierten Mengen eine zentrale Rolle bei der Landesversorgung und kann auf Veränderungen im Markt rasch reagieren. Trotzdem hinterlässt die Krise finanzielle Spuren. SBB Cargo setzt alles daran, eigenwirtschaftlich vorwärts zu kommen. Der internationale Güterverkehr bleibt zentral für die Einbindung der internationalen Warenströme und als Beitrag der SBB zur Verlagerungspolitik. Während der Corona-Krise hat SBB Cargo gezeigt, dass mit Flexibilität auch im Binnenverkehr die Verlagerung auf die Schiene möglich ist.
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