Die Bahnhofgastronomie ist so alt wie die Eisenbahn selbst: Ein kleines Buffet gab es bereits 1847 im ersten Schweizer Bahnhof in Zürich. In der Folge entstanden an allen grösseren Bahnhöfen und wichtigen Umsteigepunkten Bahnhofbuffets, die nicht nur Reisende, sondern auch Einheimische anzogen. Die SBB erkannte früh das finanzielle Potenzial der Bahnhofsrestaurationen: Schon wenige Jahre nach der Jahrhundertwende erwirtschaftete sie mit den Buffets einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes. «Die kommerzielle Nutzung der Bahnhöfe ist keine Erfindung der Neuzeit. Aber nach wie vor leistet sie einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Gesundheit der SBB», stellt Alexis Leuthold, bei der SBB verantwortlich für die Bewirtschaftung der Bahnhöfe, fest.
Bahnhöfe sind seit hundert Jahren auch Verweilorte
Bereits in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts begriff die SBB ihre Bahnhöfe nicht mehr nur als Ankunfts- oder Abfahrts-, sondern auch als Verweilorte. Sie schuf einheitliche Reglemente und Verträge für die Bahnhofgastronomie. Sie setzte umsatzabhängige Pachtzinsen fest und war damit auch an einer erfolgreichen Betriebsführung interessiert. Umso sorgfältiger wurde nach fähigen Pächtern gesucht.
Heute noch wird bei der Zusammenstellung des Bahnhofsangebots nach diesem bewährten Konzept vorgegangen: Ausgewählt wird, was am besten zu den Kundenbedürfnissen, zum jeweiligen Bahnhof und seinem Umfeld passt. Auch das Prinzip der Umsatzmiete gilt nach wie vor, wird aber differenzierter gehandhabt: Dank der Umsatzmiete kann die SBB auch kleinere und junge Angebote in den Bahnhof bringen. Denn wenn das Geschäft noch nicht so gut läuft, zahlen sie auch weniger Miete. «Der Mietzins ist aber nicht das einzige Kriterium», stellt Leuthold klar. «Entscheidend ist, dass die Angebote optimal die Kundenbedürfnisse erfüllen und zum Standort passen. Ist dies gegeben, passt auch die Miete».
Vielfalt als Wiedererkennungsmerkmal
Die Lage am Bahnhof brachte von Anfang an eine bunt gemischte Kundschaft mit sich. Die Bahnhofbuffets waren Volksrestaurants. Trotz strenger Reglementierung durch die SBB garantierte die individuelle Pacht das Lokalkolorit der Betriebe. Keine Bahnhofgastronomie glich der anderen. «Genau da wollen wir wieder hin», sagt Leuthold. Sein Ziel ist es, dass die Bahnhöfe so vielfältig sind wie die Städte und Gemeinden, in denen sie liegen. «Die Kundinnen und Kunden sollen auch am Bahnhofsangebot erkennen, ob sie in Lausanne oder Luzern sind», sagt Leuthold.
Bediente Gastronomie ist eine Ergänzung und kein Ersatz
Dank des Taktfahrplans entfielen lange Wartezeiten am Bahnhof, die Essgewohnheiten veränderten sich, die Zahl der Pendlerinnen und Pendler nahm zu, der Wunsch nach einem gediegenen Essen am Bahnhof wurde nebensächlicher. Seit der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre prägten zunehmend Kettenbetriebe, Fastfood-Stände und Lebensmittelläden das Bahnhofsbild. «Hier wollen wir punktuell Akzente setzen». Akzente, die es früher schon mal gab. «In Zürich – aber auch andernorts – hat es Platz für mehr bediente, hochwertige Gastronomie», meint Leuthold. Es gehe hier aber um eine Ergänzung, nicht um ein entweder oder: «Schnelldrehende Restaurants und Angebote für jeden Geldbeutel werden weiterhin immer ihren Platz haben».
Beispielhaft für die Weiterentwicklung und die Rückbesinnung auf Aspekte der Bahnhofgastronomie aus früheren Zeiten seien die beiden neuen Restaurants im frisch renovierten Südtrakt: «Wir sind stolz, dass mit The Counter und der Brasserie Süd zwei bediente Gastrokonzepte in den Südtrakt einziehen, die zur Historie und zur Wertigkeit des Gebäudeteils passen», so Leuthold. «Beide Betriebe werden von lokalen Gastronomen geführt, die ihre ganz persönliche Note in den HB bringen. Sie stehen damit in einer langen Tradition und ergänzen das Angebot im Bahnhof in passender Weise».
Die Bahnhofbuffets gehörten einmal zu den besten und grössten Restaurants einer Stadt. Die Pacht eines Bahnhofbuffets war für Schweizer Gastronomen ein angesehener Karriereschritt. «Das darf gerne wieder so sein» so Leutholds schmunzelndes Fazit, «aber das heisst nicht, dass die Bahnhöfe zu einem exklusiven Erlebnis werden sollen – im Gegenteil: Die Bahnhöfe boten früher für jedes Portemonnaie etwas, sie tun es heute und sie werden das auch in Zukunft tun».