SBB Personal lernt Giruno kennen - gute Noten aus dem Tessin

Bevor der Giruno im Dezember fahrplanmässig unterwegs ist, lernen über tausend Mitarbeitende das neue Aushängeschild für den internationalen Verkehr kennen. So wird unter anderem das gesamte Lok- und Zugpersonal geschult. Was sind die Neuheiten und wie kommt der Giruno an? Ein Augenschein vor Ort.

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An einem Oktober-Tag in Riviera-Bironico, kurz vor dem bestehenden Ceneri Nordportal: Oben leuchtet der Monte Tamaro in der Herbstsonne, im Gleisfeld ist der Giruno abgestellt. Im Ristorante Alpino gleich nebem dem Bahnhof sitzen vier Kundenbegleiter aus den Depots Bellinzona und Chiasso versammelt. Sie haben den ganzen Morgen den neuen Gotthardzug unter die Lupe genommen und geübt, wie sie eine Türstörung beheben können. Sichtlich angetan zeigen sie nach dem Essen die Playlist mit den Kurzclips zu den Störungen, welche sie neu auf ihrem Smartphone abrufen können. Frisch gestärkt geht es nach dem Espresso weiter.

Premiere: Kundenbegleiterschulung in Italienisch statt Deutsch entwickelt

«Neben den häufigsten Störungen geht es auch um die Geographie des Zuges», sagt der verantwortliche Ausbildner Diego Broggi. Bei jedem Zug sind die die Schalter, Defibrilatoren und Feuerlöscher anders angeordnet, die Rampe für die Rollstuhlfahrer in einem anderen Wagen versteckt. Diego Broggi führt die Zugbegleiter geübt durch den Giruno. Es ist spürbar, dass er den Zug fast auswendig kennt, schliesslich hat er zusammen mit seinen Kollegen Claudio Scandella und Romano Campanile die sogenannte Flächenschulung fürs Zugpersonal der ganzen Schweiz entwickelt. Eine Premiere: Die Schulungsunterlagen wurden von Italienisch auf Deutsch übersetzt. «Das umgekehrte Vorgehen zeigt die Bedeutung, die dieser Zug für das Tessin hat», erklärt der Ausbildungsprojektleiter Simon Strimer.

Einblick in die Kundenbegleiter-Schulung:

Zug ist «einfach» zu fahren – trotz Premiere mit ETCS Baseline 3

Inzwischen ist in Rivera-Bironico auch das zweite Giruno-Fahrzeug, das für die Schulung zur Verfügung steht, eingetroffen. An Bord sind fünf Lokführer aus den Depots Chiasso und Bellinzona, die seit drei Tagen am Üben sind. Sie haben in Einzel- und Doppeltraktion die Funkionalitäten des Zuges studiert und verschiedene Störungen wie Tür-, Brems- oder Kupplungsstörungen sowie die manuelle Öffnung der Bugklappe trainiert. Am zweiten und dritten Tag fahren sie zudem von Chiasso via Rivera-Bironico nach Amrì-Piotta und zurück. Und wie fährt sich das neue SBB Aushängeschild des internationalen Verkehrs? «Der Zug ist halt ein Stadlerzug», sagt Lokführer Ivano Bernasconi während der Fahrt. Er sei einfach zu fahren und dies, obwohl sich im Führerstand eine grosse Neuerung verbirgt – es ist der erste Fernverkehrszug, der in der Schweiz nur noch mit ETCS Baseline 3 fährt, sprich ohne eine andere Zusicherung zu benötigen. «Beim Fahren macht dies jedoch keinen grossen Unterschied», sagt Ivano Bernasconi. Und sein Kollege Aris Agustoni doppelt nach: «Wer Flirt Tilos fahren kann, dem kommt auch der Giruno bekannt vor.»

Wissen innerhalb von 12 Wochen anzuwenden erfordert flexible Planung

«Das wichtigste ist nun, dass wir bald fahren und das Wissen anwenden können», sagt der Ausbildner. Das Reglement sieht vor, dass nicht mehr als 12 Wochen von der Schulung bis zum Einsatz verstreichen. Das stellt auch den Bildungsprojektleiter Simon Strimer vor Herausforderungen: «Das Schwierige an einer Schulung ist, dass wir nur wenige Fahrzeuge zur Verfügung erhalten, flexibel planen und organisieren müssen und die Ausbildungen der Berufsgruppen sehr unterschiedlich sind.» In Basel zum Beispiel gibt es ein 400 Meter Gleis, um zwei Fahrzeuge kuppeln zu können und gleichzeitig die Mitarbeitenden aus Zürich, Luzern und Basel zu schulen. «Im Tessin gab es die Knacknuss, dass es in Chiasso auf dem Gleis 30 schlicht zu wenig Platz hat, und auch sonst gibt es kaum einen geeigneten Ort für zwei Fahrzeuge. Simon Strimer strahlt, wenn er von den Planungen erzählt. Seine Aufgabe sei sehr spannend: «Die SBB geht neue Wege in der Bildung und setzt auf eine Kombination von virtuellem Lernen und Praxis». Die Lokführer lernen den Zug vorgängig während vier Stunden im sogenannten selbstgesteuerten Lernen virtuell kennen, unter anderem mit einem E-Book (E-Learning) oder interaktiven Filmen. Erst dann sehen sie ihn live. In Entwicklung ist noch das APP mit dem virtuellen 3D Modell Giruno. Damit kann das Lokpersonal unter anderem die Einbauorte der Komponenten im Zug finden sowie die Störungsprozesse auffrischen und trainieren.

Gute Noten vom Personal für den neuen Zug nach Italien

«Die SBB ist auf gut ausgebildetes Personal angewiesen, gerade bei Störungen», sagt Simon Strimer. Am Ende des Schulungstages blickt er in zufriedene Gesichter – die Lokführer geben der Schulung und dem Zug gute Noten. Auch die Kundenbegleiter mögen den neuen Zug: «Er ist schön und modern, das ist gut für die Reisenden, aber auch gut fürs Personal», fasst Simon Wachter zusammen. Im Tessin neigt sich ein Sonnentag dem Ende zu. In rund 14 Monaten werden schweizweit alle Augen auf den Ceneri gerichtet sein, nicht mehr auf die Bergstrecke und das bisherige Tunnelportal bei Rivera-Bironico, sondern auf den neuen Basistunnel. Bis dahin fahren die Giruno als neue Gotthardzüge von der Deutschschweiz bis Mailand und läuten ein neues Zeitalter im internationalen Italien-Verkehr ein.

Einblick in die Lokführer-Schulung:

Giruno-Zug

Die ersten Giruno von Stadler rollen bereits seit Mai 2019 mit Fahrgästen, ab dem 15. Dezember 2019 folgt der fahrplanmässige Einsatz. Deshalb werden von April bis Dezember 2019 insgesamt 250 Lokführerinnen und Lokführer und 400 Kundebegleiterinnen und Kundenbegleiter geschult. Ebenfalls geschult werden mehrere hundert Mitarbeitende der Instandhaltung, der Intervention, die Rangierlokführer, das Personal von Elvetino, die Mitarbeitenden von Clean, das Helpdesk Rollmaterial, der Grenzschutz, die Transportpolizei sowie die Diagnostiker.