Auf der einen Seite des Schalters die Kunden, auf der anderen die SBB Mitarbeitenden: Damit ist in den ersten Bahnhöfen bald Schluss. Die SBB setzt neu auf ein komplett überarbeitetes Konzept, das mehr Interaktion zwischen Mitarbeitenden und Kundinnen ermöglicht. Projektleiterin Lara Zeidler erklärt die Idee: «Die Kunden kommen mit verschiedenen Bedürfnissen ins Reisezentrum. Während die einen ihr GA verlängern wollen, wollen andere nur schnell ein Billett kaufen oder ihr Gepäck aufgeben, wieder andere möchten eine Gruppenreise planen. Jedes Anliegen benötigt unterschiedlich viel Zeit und eine unterschiedliche Ausstattung der Beratungsplätze. Dem tragen wir in den neuen Reisezentren Rechnung.»
Zusammen durchs Reisezentrum
Die Gespräche mit den Kunden finden je nach Anliegen an unterschiedlichen Stationen statt: von der Sitzecke bis zum Stehtisch. Hat ein Kunde mehrere verschiedene Anliegen, wird er jedoch nicht durchgereicht. «Die Idee ist, dass Kunde und SBB Mitarbeiter sich gemeinsam durch das Reisezentrum bewegen. Das Konzept ermöglicht so eine persönlichere Beratung.» Wie wichtig das Mobiliar ist, verdeutlicht Lara an einem Beispiel: «Die klassischen Schalter sind einfach nicht praktisch, wenn man zusammen eine Karte oder einen Fahrplan anschauen möchte. Das geht an einem freistehenden Tisch viel besser und viel bequemer für alle Beteiligten.» Ein weiterer Punkt betrifft die Wartezeit. «Wir möchten diese angenehmer gestalten und dafür sorgen, dass die Kunden diese besser nutzen können.» Dafür steht die sogenannte «Inspirationszone» zur Verfügung, in der Reisende Ausflugsideen und Angebote in Prospekten und auf den Bildschirmen finden.
Von Vorfreude und Lampenfieber
Auch für die Mitarbeitenden wird es eine Umstellung – zum Positiven, meint Guillaume Magliocco, der das Reisezentrum in Montreux seit rund acht Jahren leitet. «Helle, historische Räume mit Seeblick… Ich bin sicher, dass unsere Kundinnen und Kunden sich hier wohl fühlen werden.» Die Vorfreude sei im Team sehr gross gewesen.
Guillaume arbeitet seit seiner Lehre bei der SBB im Verkauf. In seinen rund 20 Jahren Berufserfahrung an verschiedenen Standorten habe er einige Anpassungen an den Schaltern gesehen, doch das sei die bisher grösste Änderung. «Ich denke, dass das Ende dieser Schalterreihen und die verschiedenen Stationen ein Paradigmenwechsel ist.» Guillaume ist gespannt, wie das neue Konzept bei den verschiedenen Reisenden ankommt. «Bis 2020 haben wir in Montreux mehrheitlich Touristen beraten. Durch die Pandemie fehlen diese noch. Es wird interessant sein, wie inländische und ausländische Kundinnen und Kunden auf dieses Konzept reagieren.»
Dass Montreux nun das erste Reisezentrum mit dem neuen Konzept ist, sei eine Ehre. «Wir haben die Möglichkeit, uns einzubringen.» Das Team habe auswählen dürfen, welche Artikel sie aus dem SBB Shop vor Ort verkaufen und welche Bilder aus der Region an den Wänden hängen – ein Novum. Doch zur Vorfreude gesellt sich auch ein bisschen Lampenfieber. «Wir rechnen damit, dass sich manche Dinge einspielen müssen und vielleicht nicht alles von Anfang an perfekt läuft.» Die Mitarbeitenden stellen sich darauf ein, dass sie regelmässig Rückmeldung ans Projektteam geben werden. «Das braucht zwar Zeit, aber es ist toll, dass wir mitgestalten und verbessern können. Ausserdem ist es eine Abwechslung in unserem Alltag.»
«Ich bin sicher, dass unsere Kundinnen und Kunden sich hier wohl fühlen werden.»Guillaume Magliocco, Leiter Reisezentrum Montreux
Überprüfen und anpassen
Für Lara Zeidler und ihr Team zählen genau diese Rückmeldungen aus der Praxis. «2021 ist für uns die Testphase. Wir möchten das Konzept auf Herz und Nieren prüfen. Bei Bedarf werden wir die Prozesse oder das Mobiliar anpassen.» Ziel sei es, die Erkenntnisse aus Montreux und Horgen auszuwerten und allfällige Justierungen per 2022 umzusetzen. Denn 2022 ist ein Reisezentrum an einer Drehscheibe an der Reihe: Zürich Flughafen. Der Fahrplan für die Modernisierung von Reisezentren hängt davon ab, in welchem Bahnhof ohnehin Modernisierungsarbeiten am Laufen sind. «So können wir Synergien nutzen und das Ganze möglichst effizient gestalten.»
Von langer Hand geplant
Doch wie passt eigentlich «mehr Nähe» in eine Zeit, in der Social Distancing das Schlagwort ist? Kundenbefragungen und Marktforschung wurden vor rund fünf Jahren durchgeführt; das Projektteam seit rund fünf Jahren bei der Arbeit. «Das war also lange bevor jemand erahnen konnte, dass Nähe temporär nicht mehr so gefragt ist», meint Lara schmunzelnd. Doch auch das neue Konzept ist Pandemie-tauglich, versichert Lara. «Keine Diskussion. Natürlich gelten auch in Montreux die gleichen Schutzmassnahmen wie in allen anderen Reisezentren: Maskenpflicht, Abstand halten, begrenzte Anzahl von Personen im Raum, Handhygiene.»
Bahnhof Montreux: Mehr Komfort und Dienstleistungen in zwei Schritten
Die Umbauarbeiten am Bahnhof Montreux haben im Januar 2017 begonnen. In einem ersten Schritt wurden die Zugänge zum Gebäude und zu den Perrons verbessert, aber auch neue Flächen in den Obergeschossen geschaffen.
Nach der Eröffnung des neuen SBB Reisezentrums wird der zweite Schritt in Angriff genommen: der Umbau der Geschäftsflächen im Erdgeschoss und die komplette Dachsanierung. Die SBB hat das Projekt in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege des Kantons Waadt entwickelt. Der Bahnhofplatz wird zu einem späteren Zeitpunkt unter der Leitung der Stadt neu gestaltet.
Die Gesamtkosten für den Umbau des Bahnhofs Montreux belaufen sich auf rund 7,6 Millionen Franken und werden von der SBB getragen.