Behindertengleichstellungsgesetz: Wo steht die SBB – und wie geht es weiter?

Am 1. Januar 2024 endet die 20-jährige Übergangsfrist für die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG). Was ist der aktuelle Stand und was wurde bisher erreicht und was noch nicht? Dieser Artikel beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Lesedauer: 4 Minuten

Das Thema in Kürze: Worum geht es im BehiG?

  • Das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen trat am 1. Januar 2004 in Kraft.
  • Es hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind.
  • Für den öffentlichen Verkehr bedeutet dies, dass Menschen mit Behinderungen diskriminierungsfrei reisen und sich möglichst autonom fortbewegen können. Dafür müssen Bahnhöfe, Züge und die Kundeninformation angepasst werden.
  • Weitere Informationen gibt es auf der SBB Webseite «Das Bundesgesetz zur Behindertengleichstellung BehiG».

Update vom 14. Dezember 2023

Am 14. Dezember 2023 hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) den Standbericht zur Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes bei den Schweizer Bahnhöfen veröffentlicht. Die SBB hat bereits an einer Medienkonferenz am 10. November 2023 gemeinsam mit dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) und Postauto über den aktuellen Stand informiert, weitere Informationen dazu in der Medienmitteilung des VöV «BehiG - Menschen mit Behinderung im öffentlichen Verkehr».

Gut zwei Wochen vor Ablauf der Übergangsfrist des BehiG laufen in der Branche die letzten Vorbereitungen für die Umsetzung der Ersatz- und Überbrückungsmassnahmen. Diese kommen neu bei allen Bahnhöfen zum Einsatz, bei denen nicht autonom gereist werden kann. Wo keine Hilfe durch das Personal möglich ist, werden Reisende mit Mobilitätseinschränkung mittels Shuttle-Fahrdiensten zum nächsten zugänglichen Bahnhof oder umgekehrt gebracht.

Das Contact Center Handicap der SBB hilft Kundinnen und Kunden aller Transportunternehmen, Reisen mit dem öffentlichen Verkehr zu planen. Um Fahrten mit den Shuttle-Fahrdiensten organisieren zu können, müssen die Daten der 89 beteiligten Transportunternehmen vollständig erfasst sein. Da es sich bei den Shuttle-Fahrdiensten um eine neue Dienstleistung handelt, wird es am Anfang eine gewisse Lernphase geben. Die SBB setzt alles daran, den Reisenden einen guten und zuverlässigen Service zur Verfügung zu stellen.

Wo steht die SBB?

Die SBB hat bereits über eine Milliarde Franken investiert, um ihre Bahnhöfe, Züge, die Kundeninformation sowie ihre Dienstleistungen hindernisfrei zu machen. Und doch ist sie nicht am Ziel: Wenn Ende 2023 die Übergangsfrist für die Umsetzung des BehiG abläuft, können erst rund 80 Prozent der Bahnkund:innen barrierefrei reisen. Das bedauert die SBB.

Konkret wurde Folgendes erreicht:

  • Bahnhöfe: Ende 2023 kann an 463 Bahnhöfen stufenlos gereist werden. 271 Bahnhöfe werden nach 2023 baulich angepasst. An diesen Bahnhöfen werden Überbrückungsmassnahmen angeboten. An 30 SBB Bahnhöfen wären bauliche Lösungen nur mit einem unverhältnismässig grossen finanziellen Aufwand realisierbar. Deshalb erlaubt das Gesetz dort Ersatzmassnahmen.
  • Fernverkehr: Auf den meisten Strecken ist mindestens ein Zug pro Stunde und Richtung autonom barrierefrei benutzbar, auf einzelnen Verbindungen bestehen noch Einschränkungen. Für die Linien IC5 und IC51, auf denen aus fahrplantechnischen Gründen Neigezüge verkehren, hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) der SBB eine Ausnahmebewilligung erteilt.
  • Regionalverkehr: Praktisch alle Züge sind barrierefrei zugänglich.
  • Digitale Kundeninformation: Die SBB hat die Vorgaben umgesetzt und die Kundeninformation verbessert, ein Beispiel dafür ist die SBB Inclusive App.

Warum ist die SBB 20 Jahre nach Inkrafttreten des BehiG noch nicht weiter?

Einerseits hat sich die Umsetzung aufgrund vieler Abhängigkeiten als komplexer erwiesen als anfangs geplant. Andererseits haben präzisierte Anforderungen an barrierefreie Bahnhöfe dazu geführt, dass die SBB mehr Bahnhöfe umbauen muss als ursprünglich angenommen – anstatt 150 Bahnhöfe über 400 (von 764).

Wie geht es jetzt weiter?

Die SBB setzt das BehiG so bald wie möglich vollständig um. Der Umbau der noch nicht konformen Bahnhöfe dauert voraussichtlich bis Mitte der 2030-er Jahre. Die SBB ist dabei im Wesentlichen von den gesprochenen finanziellen Mitteln des Bundes abhängig.

Was ändert sich per Anfang 2024 für Reisende mit einer Behinderung?

Ab Anfang 2024 bietet die SBB an allen noch nicht umgebauten Bahnhöfen Überbrückungs- bzw. Ersatzmassnahmen an. Das Contact Center Handicap der SBB hilft, Reisen im öffentlichen Verkehr zu planen. Es wurde gezielt ausgebaut und steht neu Kundinnen und Kunden aller Transportunternehmen als Anlaufstelle zur Verfügung.

An allen nicht autonom nutzbaren Bahnhöfen unterstützt das Bahnpersonal mit einer Voranmeldefrist von einer Stunde beim Ein- und Aussteigen. Ist der Bahnhof nicht treppenfrei zugänglich, können Reisende mit einer Gehbehinderung bis spätestens zwei Stunden vor Abfahrt telefonisch einen Shuttle-Fahrdienst zur nächsten zugänglichen Haltestelle anfordern. Empfehlenswert ist, sich so früh wie möglich zu melden.

Per 1. Januar 2024 können Reisende mit einer Mobilitätseinschränkung ihre Reise nicht nur telefonisch, sondern auch digital anmelden – dies mit dem neuen Anmelde- und Informationssystem für assistierte Mobilität (AMO). Kund:innen im Rollstuhl oder mit Rollator können sich über die SBB Webseite SBB Webseite «Reisen mit eingeschränkter Mobilität» anmelden. Einzig die neuen Shuttle-Fahrdienste können in einem ersten Schritt nur telefonisch angefordert werden.

Kundinnen und Kunden mit eingeschränkter Mobilität können sich via Onlinefahrplan (sbb.ch und SBB Mobile) umfassender über die Barrierefreiheit der Haltestellen und angebotene Ersatz- oder Überbrückungslösungen informieren. Sie sehen, ob und welche Hilfestellung für jeden Abschnitt einer Reise nötig ist.