Ausziehbare Abteiltische, gepolsterte Sitzbänke in der 2. Klasse, verglaste Trennwände zwischen Raucher- und Nichtraucherabteilen, verstellbare «Fauteuils» in der 1. Klasse und ein geräumig wirkender Fahrgastsaal: So lesen sich ein paar der Eigenschaften des Einheitswagen I (abgekürzt und im Eisenbahnjargon EW I genannt), der während drei Jahrzehnten das Rückgrat des SBB-Fuhrparks war. Eingesetzt wurden die im damals typischen SBB dunkelgrün gehaltenen Wagen im Fern- und Regionalverkehr nach dem Motto: Gleicher Komfort für alle, auf kurzen und langen Strecken.
«Mit der Pensionierung der letzten EW I geht ein grosses Stück Schweizer Bahngeschichte zu Ende.»René Zehnder, Flottenmanager EW I/II
Die zuletzt noch vereinzelt eingesetzten Kompositionen werden endgültig durch moderneres, klimatisiertes Rollmaterial ersetzt.
Von der Gefängniszelle auf Rädern zum Salonwagen für den Staatsempfang
Entstanden sind die EW I aus einem Ideenwettbewerb unter Schweizer Rollmaterialherstellern. Hergestellt wurden sie dann zwischen 1956 und 1967 von einem Konsortium der Industriegesellschaft Neuhausen (SIG) und der Schweizerischen Wagons- und Aufzügefabrik AG Schlieren (SWS). 1208 Wagen wurden insgesamt gebaut, 1028 Stück davon für die 2. Klasse. In vielerlei Hinsicht war der EW I damals zukunftweisend: Die Einstiege etwa waren über dem Drehgestell und nicht mehr in der Mitte angeordnet, die WCs an den Wagen-Enden. Auch in puncto Material und Technik änderte mancherlei: So wurden im Laufe der Zeit die ursprünglichen Faltenbalgübergänge durch Gummiwulstübergänge ersetzt und anstelle von Glühbirnen kamen Leuchtstoffröhren zum Einsatz. Neben den Personenwagen beschaffte die SBB auch zahlreiche EW I als Steuer- und Speisewagen sowie Gepäck- und Postwagen. Die Gepäckwagen verfügten über eine eingebaute Gefängniszelle, die bis Anfang der 2000er Jahre für den Transport von Gefangenen genutzt wurde. Daneben gab es den EW I aber auch als Salonwagen für Staatsbesuche und politische Feierlichkeiten.
Ab Mitte der 70er-Jahre verkleinerte sich mit der Einführung der EW III das Einsatzrayon der EW I (und EW II) zum ersten Mal. Ab Mitte der 80er-Jahre wurden über 600 Wagen (EW I und EW II) für den Regionalverkehr umgebaut und verkehrten in Kompositionen mit den neuen NPZ Trieb- und Steuerwagen (Neuer Pendelzug, heute Domino). Die Einheitswagen IV (EW IV) verdrängten die EW I dann sukzessive aus dem Schnellzug-Einsatz, endgültig Schluss war 2006. In den letzten Jahren kamen die EW I noch zu Stosszeiten im Regionalverkehr und als Dispozüge bei Ausfall oder Verspätung anderer Züge zum Einsatz.
Was von den EW I bleibt
Letzter intensiver Einsatztag der EW I ist der 1. April 2021 (kein Scherz). Eine Komposition bleibt bis Ende Juni als «eiserne Reserve» erhalten und als Messzüge bei SBB Infrastruktur werden drei Steuerwagen auch weiterhin eingesetzt. Die beiden EW I-Gefängniswagen (auch als «Jail-Train» bekannt) bleiben ebenfalls erhalten. SBB Historic hat einige Wagen in die Sammlung aufgenommen; weitere sind im Inventar der Stiftung BLS und bei privaten Vereinen. Jeder Wagenkasten wird dafür fachgerecht unter Einhaltung der Umwelt- und Sicherheitsstandards saniert. «Ganz verschwinden werden die EW I dank SBB Historic nicht. Auf unseren Erlebnisreisen und bei Charterfahrten wird dieses bedeutende Kapitel der Schweizer Eisenbahngeschichte auch künftig erfahrbar sein.» Stefan Andermatt, Geschäftsleiter SBB Historic. Alle verbleibenden Wagen werden verschrottet.
Last but not least: Etwas EW I Nostalgie
Für diesen Beitrag wurden SBB Mitarbeitende aufgefordert, ihre persönlichen Impressionen des EW I zu teilen. Die Einsendungen waren mehr als zahlreich und entfachten eine Nostalgie sondergleichen. Hier sind einige Beispiele aus den Einsendungen festgehalten.