Er kommt mit schwerem Gepäck nach Bern: Rund 12 Kilo wiegt Marcel Muttners Rucksack mit der Fotoausrüstung. Auf dem Perron 4/5, unterhalb der «Welle» am westlichen Ausgang des Bahnhofs, packt er das umfangreiche Material aus. Er stellt zwei Stative auf und montiert darauf einen sogenannten Slider. Auf diesem steuert er mithilfe zweier Motoren die Kamera via Smartphone hin und her. Marcel, der Mitarbeiter bei der Intervention in St. Gallen ist, hat an diesem Dezembertag frei – und darum Zeit, sein neustes Projekt in Angriff zu nehmen: Ein Zusammenschnitt von Zeitraffer-Aufnahmen aus diversen Bahnhöfen. Bern ist seine erste Station.
Er platziert die Kamera so, dass sie rund 40 Zentimeter über dem Boden schräg über die Gleise in Richtung Halle fotografiert. Seine Zeitraffer-Videos sind nämlich nicht Filme, die er einfach beschleunigt, sondern setzen sich aus einer grossen Menge Einzelfotos zusammen. «Das ist für die Nachbearbeitung wohl aufwändiger, aber das Resultat umso beeindruckender.» Mittels spezieller Software werden die Bilder bearbeitet und zu einem Clip zusammengefügt, erklärt Marcel. Dann programmiert er seine Kamera und die App: 380 Fotos soll sie während 15 Minuten machen. Aus diesen Bildern wird ein Film von 15 Sekunden.
Die Timelapse-Fotografie, wie Zeitraffer-Aufnahmen auch genannt werden, ist die grosse Leidenschaft des Hobbyfotografen. Mit dieser Methode kann Marcel zum Beispiel die Sonne in Sekundenschnelle auf- oder untergehen lassen. Oder er bringt bei Aufnahmen in der Nacht die Milchstrasse zum Funkeln und lässt die Sternschnuppen kreuz und quer über den Nachthimmel flitzen. «Wenn ich in einem kurzen Film sichtbar machen kann, was während fünf, sechs Stunden am Himmel so alles passiert, finde ich das spannend.»
Während die Kamera, aufgestellt irgendwo in der Natur fernab von störenden Lichtquellen, über Stunden das Basismaterial für die Zeitraffer-Videos erstellt, ist der 53-Jährige zum Warten verdonnert. Langweilig? Keineswegs!: «Ich geniesse es, draussen zu sein. Es passiert so viel.» Man müsse sich nur die Zeit nehmen, richtig hinzusehen und hinzuhören. Wenn es um ihn herum still sei, nehme er alles viel intensiver wahr. «Das ist ein schöner Ausgleich zur Hektik des Alltags, ich kann dabei wunderbar entschleunigen.»
Der Sternenhimmel übt eine grosse Faszination auf Marcel aus. Er vertieft sich gerne in Bücher darüber und schaut sich Dokumentationen an. Und wenn seine Kamera über Stunden Bild um Bild vom Nachthimmel einfängt, wird er nachdenklich. «Was gibt es da draussen alles? Sind wir die einzigen Lebewesen im Universum? Was hat es mit den Schwarzen Löchern auf sich?» Nicht auf alle Fragen findet er Antworten. Ein bisschen Mysterium muss sein.
Geduldig sein und warten können: Diese Eigenschaften kommen Marcel Muttner auch im Beruf zugute. Seit 14 Jahren gehört der gelernte Zimmermann nun zum Team der Intervention, der SBB internen Feuerwehr am Standort St. Gallen. Zusammen mit seinen Kollegen rückt er aus, wenn Hindernisse im Gleisbereich beseitigt, defekte Züge abgeschleppt oder Passagiere evakuiert werden müssen. Zwischen den Alarmierungen pflegen sie zwar die Ausrüstung, treiben Sport oder üben für den Ernstfall. Dennoch gibt es in einer 24-Stunden-Schicht auch immer Wartezeiten, in denen wenig läuft – wie beim Fotografieren.
Manchmal verbindet Marcel auch Beruf und Hobby. Seine Kollegen – in Brandschutzkleidern und mit Atemschutzgerät bei einer Übung – sind ebenso dankbare Sujets wie der imposante Lösch- und Rettungszug. Und das Dach des Interventions-Gebäudes ist ein geeigneter Standort, um den Nachthimmel zu fotografieren. Hin und wieder lässt Marcel seine Kamera dort Aufnahmen machen, während er sich in der Interventions-WG ein paar Stunden Schlaf genehmigt.
Im Bahnhof Bern hat Marcel seine Aufnahmen beendet. Er kontrolliert die Bilder kurz auf dem Display, dann versorgt er die Kamera wieder im Rucksack und baut die Stative ab. Jedes Teil, jedes Kabel, jedes Verbindungsstück hat seinen Platz. Beim nächsten Einsatz muss alles wieder griffbereit sein. Ordnung ist wichtig – bei der Fotografie und auch im Beruf.
Nach Feierabend
Viele SBB Mitarbeitende gehen nicht nur im Berufsalltag mit viel Elan ans Werk, sondern widmen sich auch in ihrer Freizeit mit viel Leidenschaft einem besonderen Hobby oder einem Projekt. Vier von ihnen geben in dieser Serie einen Einblick, was sie nach Feierabend umtreibt – in jeder Adventswoche öffnen wir ein Türchen und schauen jemandem bei seinem Engagement über die Schulter.
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