Loïc hatte sich bereits gefreut. Nach seiner Schwester im letzten Jahr war er nun an der Reihe. Er durfte seinen Papa, Patrick Michaud, im Rahmen des «Nationalen Zukunftstages», der jeweils am zweiten Donnerstag im November stattfindet, bei seiner Arbeit begleiten. Nach dem Aufwachen musste Loïc aber feststellen, dass Patrick, der Leiter der Betriebszentrale West, schon lange aus dem Haus war. Bereits um 2 Uhr in der Früh übernahm er die Leitung des regionalen Führungsstabs in Lausanne, um die sich ankündigende Krise zu bewältigen: einen mehrstündigen Unterbruch der Linie Lausanne–Genf.
Mitten in der Nacht wurden am Bahnhof Renens bei Bauarbeiten beim Perron 1 durch eine Bohrmaschine Kabel beschädigt, über die sicherheitsrelevante, für die Steuerung der Signale und Weichen notwendige Informationen übermittelt werden. Die westliche Hälfte des Bahnhofs Renens war ausser Betrieb: Alle Signale waren dunkel.
Organisation der ersten Reparaturarbeiten
Pascal Roh, Teamleiter Sicherungsanlagen, war einer der ersten Spezialisten vor Ort, der die Schäden begutachtete: «Die Bohrmaschine hatte acht Kabel beschädigt, von denen fünf die Sicherungsanlagen des Bahnhofs mit dem Stellwerk verbunden haben. Jedes dieser Kabel enthielt zwischen 80 und 120 elektrische Drähte. Rund 65 Sicherungsanlagen (Weichen, Signale, Achszähler) waren ausser Betrieb.» Pascal und seine Kolleg:innen haben sofort erste Reparaturmassnahmen getroffen: «Wir mussten mit neuen Kabeln eine Umleitung von ungefähr 50 Metern einrichten. Das bedeutet, dass wir an jeder Seite mehr als 500 Verbindungen herstellen mussten.» Dazu waren etwa zehn Arbeitsstunden und der tatkräftige Einsatz von rund 30 Spezialist:innen notwendig.
Die 13 Jahre alte Justine ist ein wenig früher aufgestanden als sonst, um einen Arbeitstag mit ihrem Papa, Etienne Marendaz, Operativer Leiter Technik in der Betriebszentrale West in Lausanne, zu verbringen. Am Vormittag hatte er kaum Zeit, um sich um seine Tocher zu kümmern. «Immerhin hat sie so mitbekommen, wie es bei meiner Arbeit ist, wenn eine Störung auftritt», ergänzt der Spezialist. Einige Meter weiter, im Kommandoraum, begleitet Lennie, 13 Jahre alt, Agnieszka Knopik, die sich um die Kundeninformation kümmert. «Bedingt durch die Ereignisse haben wir unsere jugendlichen Begleiterinnen und Begleiter in erster Linie zuschauen lassen, und ich glaube, dass sie von unserer Arbeit beeindruckt waren», erklärt Agnieska. «Lennie konnte in den Zügen Durchsagen über Störungen machen und sich an der Kundeninformation beteiligen!»
Auf den Perrons
Auch auf den Perrons sah man Kinder, die ihre Eltern – Zugbegleiter:innen und Büromitarbeitende, die zur Kundeninformation eingesetzt wurden – bei der Arbeit begleiteten. An den Bahnhöfen wurden mehr als 120 Kundenlenker:innen eingesetzt. Vincent Rimet, Projektleiter Pünktlichkeit, hat sich freiwillig zum Einsatz gemeldet, genau wie andere Büromitarbeitende: «Ich war überrascht, wie gross das Bedürfnis der Reisenden nach einem Ansprechpartner oder einer Ansprechparterin auf dem Perron war. Viele Reisende hielten ihr Smartphone in der Hand und wünschten eine Bestätigung oder eine Ergänzung der Informationen, die sie über ihr Gerät erhalten hatten. Zudem konnte ich meine ganzen Sprachkenntnisse anwenden: Deutsch, Italienisch, Englisch, Spanisch …»
Ein paar Schritte weiter auf dem Perron stand die elfjährige Apolline. Mit Schreibzeug in der Hand hörte sie dem Mediensprecher zu. «Wieso dauert es so lange, bis die Kabel repariert sind?», wollte die Tochter des stellvertretenden Chefredaktors von Le Temps wissen. Sie war noch gar nicht in der Redaktion und war trotzdem schon mittendrin im Geschehen.
Eine grosse Familie
Justine, Lennie, Appoline und viele andere Kinder werden sich noch lange an diesen speziellen Tag erinnern. Sie hatten vielleicht nicht die ganze Aufmerksamkeit ihrer Eltern, aber sie haben zwei bedeutende Erfahrungen gemacht: Die SBB ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Westschweizer Alltags, und ihre Eltern gehören zu einer grossen Familie, die zusammenhält und aktiv zusammenarbeitet, um enorme Herausforderungen zu meistern.
David Fattebert, Regionenleiter West, der während der gesamten Dauer der Störung vor Ort anwesend war, meinte am Ende dieses aussergewöhnlichen Tages: «Ich war beeindruckt von diesem «Bähnlergeist» den alle Mitarbeitenden bei der Bewältigung dieser umfangreichen Störung an den Tag gelegt haben. Sie haben ihre Arbeit ganz im Sinne von One SBB geleistet. Das schätze ich sehr, und ich danke ihnen dafür.»
Und Loïc, der zu Hause bleiben musste? Sein Papa hat ihm versprochen, dass er ihn an einem anderen – ruhigeren – Tag begleiten darf.
Ein Grossaufgebot informiert und lenkt die Reisenden
Vielerorts wurde ein Vergleich gezogen: Die Störung von Renens ist genau zwei Jahre nach dem mittlerweile berühmten «Loch von Tolochenaz» aufgetreten, das damals für einen mehrtägigen Unterbruch der Strecke Lausanne–Genf sorgte.
Auch in Renens war ein eindrückliches Aufgebot vor Ort: Die SBB hat rasch mit dem Führungsstab des Kantons Waadt Kontakt aufgenommen. Neben der Transportpolizei standen die Kantonspolizei, mehrere Gemeindepolizeien und der Zivilschutz im Einsatz, um in der Umgebung der Bahnhöfe den Busverkehr zu regeln, aber auch, um die Reisenden zu lenken. In Lausanne haben Polizist:innen rund um die Bushaltestellen den Reisenden Auskünfte erteilt. Die Busunternehmen wurden ebenfalls bereits in der Nacht kontaktiert: Zu Spitzenzeiten wurden mit 42 Bussen Bahnersatzleistungen gefahren.
Und schliesslich wurde auch über die «Alertswiss»-App des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz eine Mitteilung versendet. Sie wurden auch aufgefordert, möglichst nicht zum Bahnhof zu gehen und geplante Fahrten aufzuschieben.
Link zum Download dieser nützlichen App: www.alertswiss.ch