Sicherheitsübung «CONFINE TRE»: Genf hält den Atem an

An einem Freitag, dem 13. wurde in einem der CEVA-Tunnels in Genf eine fiktive Katastrophe ausgelöst. Mehr als 2000 Personen haben dazu beigetragen, dass der französisch-schweizerische Notfallplan für den Léman Express erfolgreich getestet werden konnte.

Lesedauer: 5 Minuten

Dies ist die Geschichte einer möglichen Katastrophe. Am Freitag, dem 13. September 2019, kollidiert ein doppelstöckiger RegioExpress im CEVA-Tunnel zwischen Genf und Annemasse mit voller Wucht mit einem Gegenstand, der sich auf den Gleisen befindet. Schreie und Rauchwolken, die 1000 Reisenden an Bord des Zuges stehen unter Schock und versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Manche von ihnen sind schwer verletzt und müssen vor Ort medizinisch versorgt werden. Der Zug kommt im französisch-schweizerischen Grenzbereich zum Stillstand. Die Notfalldienste beider Länder werden alarmiert. Die gesamte Region Genf stürzt sich auf die Informationskanäle, um sich über die Katastrophe auf dem Laufenden zu halten.

Quelle: SBB CFF FFS

Das Video steht nur in der französischen Sprache zur Verfügung.

Dies war das Szenario von CONFINE TRE, einer grossangelegten Zivilschutzübung mit rund 1200 Statisten und über 2000 Einsatzkräften, die unter der Leitung der SBB und in enger Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden des Kantons Genf und des Departements Haute-Savoie sowie zwischen den zuständigen Stellen der SBB und der SNCF stattfand. Das Ziel war, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich der Eisenbahnsicherheit zu testen und damit die Anforderungen der schweizerischen und französischen Aufsichtsbehörden vor der Einführung des Léman Express am 15. Dezember 2019 zu erfüllen.

Dank dem Herzblut der Statisten – manche waren täuschend echt geschminkt – und der Professionalität der verschiedenen Einsatzkräfte aus beiden Ländern konnten die Einsatz- und Betriebskonzepte erfolgreich getestet werden, wie Philipp Zimmermann, Mitglied des Krisenstabs der SBB und Übungsleiter, im folgenden Interview bestätigt:

Mit CONFINE TRE wurde der «Plan de secours bilatéral (PSB)» getestet. Worum geht es genau?

Der PSB ist der Einsatz- und Krisenmanagementplan der Behörden des Kantons Genf und des Departements Haute-Savoie. Er legt die Verantwortlichkeiten, die Kompetenzen und die Notfallorganisation bei Eisenbahn-Grossereignissen auf dem Gebiet des Léman Express im Grenzbereich zwischen Chêne-Bourg und Annemasse fest. Er ist auf den Genfer ORCA-Plan (Notfallplan bei Katastrophen und Ausnahmesituationen), den ORSEC-Plan des Präfekten des Departements Haute-Savoie (Organisation des Katastrophenschutzes) und die Betriebsvorschriften des Eisenbahnverkehrs abgestimmt. Das Ziel war, die Evakuierung und die (Selbst-)Rettung der von einem Unfall betroffenen Reisenden mit allen in einer solchen Situation beteiligten Einsatzkräften zu testen.

Wie ist es der SBB gelungen, eine so grosse Übung zu organisieren?

Die SBB war im Auftrag des Bundesamtes für Verkehr in Zusammenarbeit mit der SNCF, dem Kanton Genf und dem Departement Haute-Savoie für die Koordination der Vorbereitung und für die Durchführung der Übung verantwortlich. Zu diesem Zweck mussten wir als Erstes ein gut funktionierendes binationales Projektleitungsteam zusammenstellen. Dieses bestand aus rund 50 Vertretern der Notfalldienste, der Strafermittlungsbehörden, der technischen Untersuchungsbehörden, der Krisenmanagementorganisationen, der Infrastrukturbetreiber und der Transportunternehmen SBB und SNCF. CONFINE TRE war eine riesige Übung, die viel Engagement erforderte und uns dazu zwang, Lösungen für zahlreiche Herausforderungen zu finden und stets flexibel zu sein. Und dann ging es darum, das Szenario vom 13. September zu entwickeln und vorzubereiten.

Was war die grösste Herausforderung?

Meine grösste Herausforderung war, die Arbeiten stets in die richtige Richtung zu lenken, die Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen aller Beteiligten zu koordinieren und dabei den Überblick zu behalten sowie die Kohärenz der gesamten Übung sicherzustellen. Dazu waren zahlreiche Koordinationstage, bilaterale Treffen und eine Generalprobe einige Tage vor dem 13. September notwendig.

«Die Rekrutierung von 1200 Statisten war bestimmt keine leichte Aufgabe…»
Philipp Zimmermann

Dies war in der Tat eine grosse Herausforderung. Für mich war es ein Anliegen, dass jeder Dienst maximal von CONFINE TRE profitiert. Deshalb sind wir bei der Umsetzung so weit gegangen, die Zusammenarbeit der Justiz – also der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft – oder der technischen Untersuchung der Unfallursache zu integrieren. Wir wollten sicherstellen, dass die alarmierten Dienste mit einer anspruchsvollen und realistischen Situation konfrontiert werden. Aus diesem Grund haben wir aus der Bevölkerung 1200 Statisten rekrutiert, die den Bedürfnissen der beteiligten Dienste entsprechend individuelle Rollen übernommen haben. So zum Beispiel Leichtverletzte, Schwerverletzte, Tote, Zeugen, welche die Notfalldienste alarmieren, Zeugen für die Untersuchung, Personen, die psychologische Hilfe brauchen, Familien auf der Suche nach Angehörigen und so weiter. Wir haben sie vor der Übung speziell vorbereitet, damit sie ihre Rolle so gut wie möglich spielen konnten.

Welcher Teil war am schwierigsten umzusetzen?

Eine Übung dieses Ausmasses erfordert eine ausgefeilte Logistik und ein angemessenes Sicherheitskonzept. Die Organisation vor Ort und der Empfang der Statisten sowie der beteiligten Mitarbeitenden am Tag der Übung verursachten einen riesigen administrativen und logistischen Aufwand, der höchst professionell bewältigt wurde. Ich bin sehr stolz auf die geleistete Arbeit und danke allen Beteiligten, dass sie mit ihrem unermüdlichen Einsatz dafür gesorgt haben, dass CONFINE TRE zu einem grossen Erfolg wurde.

Wie lautet die Bilanz?

Sie ist ausgezeichnet. Die Übung verlief nach Plan, die Organisation war vorbildlich, die Pläne und die einzelnen Dienste konnten getestet werden, und die Rückmeldungen der Statisten und der Medien waren sehr positiv. Es konnten sehr viele Lehren gezogen werden, die nicht nur für den Einsatz- und Krisenmanagementplan gelten, sondern für jede grössere Katastrophensituation in der Grenzregion.

Welche waren für Sie persönlich die einprägsamsten Bilder dieses Tages?

Die Grösse des aufgebotenen Notfalldispositivs hat mich sehr beeindruckt. Die Statisten haben ihre Rolle wunderbar gespielt. Ich habe in die verschwitzten, vom Einsatz gezeichneten Gesichter der Mitarbeitenden der Notfalldienste geblickt und die Klagen der Verletzten gehört. Ich habe die perfekt aufgeschminkten Wunden gesehen und festgestellt, mit wie viel Energie und Seriosität alle Beteiligten ans Werk gegangen sind und alles gegeben haben, um die Situation zu bewältigen. Und dies alles im Interesse der Sicherheit des Léman Express.

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